Via De La Plata 2006

Tagebuch meines Jakobsweges auf der "Via de la Plata", dem 1000 km langen Pilgerweg von Sevilla nach Santiago. Dieses Jahr stand die 2. Hälfte an, von Grimaldo/Plasencia nach Santiago de Compostela, und noch 130 km weiter nach Finisterre und Muxia, zum "Ende der Welt" am Atlantik.

Tuesday, August 01, 2006

Camino-Tagebuch: Zweiter Tag - 1.8.2006

Etappe Càparra - Aldeanueva del Camino (20 km)

* "As we speak" liege ich mit meinem Schlafsack unter dem römischen Bogen von Càparra im Land Extremadura. Im Hintergrund endlos Glockergebimmel von Kuhherden, aus dem Off.
Schreibe das alles live mit meinem Blackberry (der ersetzt mir den SB-20 Fernspäh-Fernmeldesatz. :-), weil i fast die ganze Nacht net schlafen kann.

* Hab an meinem 1. Tag zur Eingewöhnung gleich mal 31 km durch 40 Grad heiße Pampa gemacht - keine andere Wahl, die Etappen auf der Via de la plata sind wie sie sind. Dafür 31 km traumhaft schöne, unwirkliche Landschaft, voller Korkeichen, mit blond verdorrtem Gras dazwischen. Stahlblauer Himmel und halt - heiß. That's what you get in southern Spain in the middle of summer ;-) Hab Millionen Fotos gemacht. Hoffe, mein Chip schwächelt nicht.

* Leider hatte ich beim Termin Hochsommer (August) keine Wahl, weil ich grad zwischen meinen beiden Jobs stehe, und dieses Monat habe ich als Freimonat durchsetzen können, ist eine einmalige Chance im Leben.

* Fuß links tut ordentlich weh, hab eine Druckstelle an der Sohlennaht in meinen superslick Salomon GCS Pro Trailschuhen. Na supi. Damit bin ich stundenlang durch die Lobau geheizt, ohne Probleme, und jetzt das. Werd wohl einen Zapatero brauchen.

* Jetzt gibts gleich ein Pilgerfrühstück - bei Römers unterm Bogen - 1 paar labrige Gebäckteile ausm Plastikpackerl, dazu lecker Warmwasser ausm Camelbak). Was will man mehr?

* Es ist 6:00 früh, stockfinster, die Sterne stehen wie ein Feuerwerk am Himmel, aber es ist gescheit, jetzt loszugehen bevor die Tageshitze reinkickt.

* Hab die Nacht über leider kein Auge zugemacht - keine Ahnung warum. Temperatur ist angenehm zimmerwarm, Wind ist da, kein Orkan, Sterne funkeln - vielleicht bin ich zu wachsam (oder noch nicht erschöpft genug?).

* Bin wie der Teufel aufgesprungen, als ich jemand herangehen gehört hab: war tatsächlich eine spanische Pilgerin, die in den allerfrühesten Morgenstunden mit Kopflampe unterwegs war, wohl um die Tageshitze zu vermeiden. Hat sich gut erschreckt, bzw. Ham wir das beide. Die muß offenbar draußen in der absoluten Wildnis, in der Cañada, übernachtet haben, weil 20 km vor Caparra ist rein gar keine Zivilisation.

Seit wann sind Pilgerinnen härter als ich? - werd auch mal nachts pilgern, um zu schauen, wie das abgeht. Basta.

* Merke auf Schritt & tritt, dass man ohne Spanischkenntnisse auf dem Camino der Gearschte ist. Und zwar komplett.

* kurz vor Aldeanuevo del Camino geht mir das Wasser aus. Auch 2 liter sind irgendwann aus, wenns für 2 tage & 1 Nacht reichen muss, inkl. Zähneputzen und Katzenwäsche. Aber ich alter "Landser" hab keine Panik, bin schon auf den letzten km vor der Stadt. Ein weiterer wertvollen Gear-Tipp: Die Wasserblase draußen am Rucksack verstauen, da sieht man bei den Pausen mit einem Blick, wies ausschaut. Dafür wirds Wasser schneller heiß. Früher hatte ich das Wasser innen verstaut. Man ist immer gscheiter, wenn man vom Rathaus kommt.

* 11:30: Erfolgreich "gelandet" in Aldeanueva del Camino. Heutige Marschleistung bisher: knapp 20 km seit Caparra. Fuß tut nimmer so katastrophal weh, aber jetzt brauch i erstmal a) Dusche b) Essen c) Cervezita d) Erholung e) mehr Essen. Vielleicht latsch i heut abend no 10 km weiter. Herberge is aber voll nett hier.

* Jetzt hab ich das 5. Kleine Cervezita im Gsicht, werd also nimmer weiterhatschen. Wenn die Spanier "Bierchen" sagen, dann meinen die das auch. In Wien wäre diese Gemäßgröße bekannt als "Pfiff" (0,2 l) Mach einen auf gmiatlich und basta. Grad sitz ich in einer der zahlreichen Bars und mampf - oh Abwechslung - ein bocadilla de tortilla francesa. Schmeckt gut, nach all der Entbehrung. Wirtin sehr nett. Spielt coole Rockmusik aus Katalonien: Manolo Arcia (Orcia?).

* Neue Beobachtung über Spanier: nicht nur schauen sie einen Pilger an als wäre er ein Vakuum, es wird ihnen auch nie zu fad, über die Hitze zu sudern. Ist ungefähr so originell als würde ein Sibirier über die Saukälte im Winter jammern. "Que calor!" Ist also ein permanent gehörter Ausdruck, der wahrscheinlich nicht mehr bedeutet als daß man noch lebt und atmet.

* Weitere Beobachtung: wenn du ein Pilger bist, nennt dich jeder Spanier "Du". Wie einen Studenten :-). Ist herrlich, eine Demutsübung. Wenn ich erzählen würde, dass ich daheim der "wichtige" M&A Lawyer wäre, würds mir a) keiner glauben (so erbärmlich wie ich ausschau) und b) niemanden beeindrucken. Hier ist jeder Pilger gleich: ein verschwitztes, einsames, fragwürdig riechendes, schlecht rasiertes Bündel Elend mit Fußschmerzen.

* Morgen überschreite ich gerade die Grenze von der Extremadura nach Castilia y Leon. Es ist herrlich hier. Ordentlich heiß aber traumhaft. Ist mein dritter span. Bundesstaat auf der via de la plata, nach Andalusien und Extremadura. Schon geil - ist wie "ich geh mal schnell von Baden-Württemberg nach Sachsen-Anhalt". :-)

* Sitz grad beim sehr netten Schuster. Gottseidank gibts den! Wär ihm fast um den Hals gfallen, hab voll den einen Masochistenschuh. Den hat er mir jetzt gründlich chirurgisch ausgeweidet und unnötige Polsterung entfernt, die meinen Zehenknöchel durch permanenten Druck fast gekillt hat. Wenn der das erfolgreich reißt (ohne meine Salomon GCS für immer kaputtzumachen), gibts ein Extra-Dankgebet bein Apostel-Santiago! Der Schuster erzählt von vielen Pilgern, denen er schon den Camino gerettet hat. Mir vielleicht auch.

* Ein Jakobuswunder: Mein strapazierter Fuß ist wie neugeboren! Und: der liebe Schuster weigerte sich beharrlich, Geld für sein Meisterwerk zu nehmen. Er wollte nur, dass ich beim Apostel an ihn denke. Ich bin tief beschämt - sowas liebes. Hab ihm eine gute Flasche Wein vorbeigebracht, die er auch nur unter lautstarkem Protest angenommen hat. Die Wein-Verkäuferin - die den lieben Mann kennt - hatte ihn extra für ihn eingepackt und fürs Einpacken auch nix verlangt. Ist Aldeanueva del Camino der liebste Ort der Welt? Ja!!

* Nochmal abendessen gewesen, meine üblichen Spaghetti zelebriert. Mußte bis 21:00 warten, vorher macht der "Comedor" nicht auf. Obwohl ich Spanien schon gut kenne, aber an den Tages - bzw. Nachtrhythmus gewöhnt man sich schwer... Bin mit meinen chirurgisch optimierten Trailschuhen wie auf Wolken zu dem außerhalb gelegenen Restaurant geschwebt.

* beim Einschlafen zeigt sich das spanische Dörfl voin seiner spanischsten Seite: Mords Halligalli auf den Straßen, kleine Kinder kreischen, Mofas heulen. Ein Extradankgebet beim Apostel ist für meine Ohropax fällig!

* Sogar die Mücken sind in dieser Gegen freundlicher als anderswo, kommen einmal kurz vorbei, surren kurz "buenas noches" ins Ohr & verschwinden für den Rest der Nacht, wahrscheinlich, weil sie lieber die ganze Fiesta-Veranstaltung auf der Straße vor dem Refugio sekkieren. Autan verwend ich schon gar nimmer. Solche echten Gentlemen!

* Meine letzte deutsche Zeitung, FAZ am Sonntag, ist ausgelesen (dadurch knappes halbes Kilo Gewicht gespart). Jetzt wird's für mich Newsfreak richtig hart. Aber zwei verschiedene tägliche Email-Newsletter stellen über Blackberry eine gewisse Grundversorgung mit Information sicher :-) Für Eilmeldungen gibts eine Extra-Mail. Möcht nicht wissen, was i für a Telefonrechnung nach dem Camino hab! Breaking News waren: Bomben auf deutschen Bahnhöfen (wie damals in Madrid! Jetzt schlagen die Bestien auch bei uns zu) und Fidel Castros vorübergehender (?) Rücktritt.

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