Etappe Ourense - Kloster Oseira (34 km)
* Wache auf zum vertrauten Getröpfel von fallendem Regen im Hof des Hotels. Das macht mich jetzt echt langsam fertig, das besch*****e Wetter hier. Kann einem den ganzen Spaß am Pilgern nehmen, wenn man bei 10 Grad und Dauerregen in der Früh losmarschieren darf, die Füße notdürftig verarztet vom letzten Dauerwassereinsatz. Unglaublich. Daß man in Galicien mit dem Regenschirm auf die Welt kommt, wußte ich schon. Aber wochenlanger Regen am Stück, jetzt wo es wochenlang so trocken war, daß das halbe Land abgebrannt ist und die Stauseen auf der Hälfte ihrer Füllmenge standen? - Jetzt wird mein Jakobsweg, hier im Zielland Galicien und etwas mehr als 100 km vor Santiago, doch noch zu einer echten Prüfung, und die macht gerade echt keinen Spaß.
* Jetzt erstmal zur Laune ein paar Churros con Chocolate einschmeißen, dann muß ich los.
* Wieder mal hat es sich ausgezahlt, Pilgersitzfleisch zu beweisen und nicht zu früh aufzubrechen. Erstmal hatte ich meinen Wecker zweimal schlummern geschickt (was im Schlafsaal eines Refugio eine asoziale Unsitte wäre), dann hab ich Churros gesucht, was nicht so einfach war, weil die versprochenen Churros im Hotelcafé doch nur in der Phantasie des Vorabendkellners existierten. Militärisch spricht man bei einem solchen Phänomen von "Übungs-Churros" oder "Churros-sym" (symbolisch). Zur Krönung hat mich der Frühschicht-Kellner dann auch noch charmant mit dem A**** angeschaut, darauf bin ich mit einem bayrisch gemurmelten Götz-von-Berlichingen-Zitat exfiltriert. In einer anderen Bar erhielt ich dann etwas, dass zwar Churros hieß, dem aber König Juan Carlos persönlich die Zugehörigkeit zur spanischen Krone absprechen würde, wenn er es probiert hätte. Wärend ich also am "Carboloading" war (romantischer kann man das Frühstück nicht bezeichnen), geschah etwas außerordentliches: Wie durch ein Wunder ist der Regen weg!! Auch mein kerniger Muskelkater in den Oberschenkeln (vom Rucksacklauf über die Berge nach A Gudiña) ist verschwunden. Und wer meine Oberschenkel kennt, der weiß, wieviel "Kater" da reinpaßt. ;-)
* Muß mich diesmal genauestens daran erinnern, in jeder Etappe einen Stempel in den Credencial machen zu lassen, sonst krieg ich keine Pilgerurkunde in Santiago. Das hat mir am C. Francès schonmal die Urkunde gekostet: 600 km gehatscht, und am Ende fehlten ein paar Stempel innerhalb der magischen 100-km-Zone um Santiago. Nix Compostela. Das soll mir nicht nochmal passieren. Will einen Ehrenplatz für die Urkunde im neuen Büro, mit Rahmen! Für das Erreichen von Finisterre gibt's nochmal eine Extra-Urkunde, hab ich bei einem Pilgerbruder gesehen. Sogar noch schöner und bunter. Interessanterweise ist ja der Marsch bis nach Santiago eine von der römisch-katholischen Kirche voll geförderte Veranstaltung. Aber alle im (offiziellen kirchlichen) Credencial eingezeichneten Wege enden auch punktgenau in Santiago, nicht einen offiziellen Hinweis gibt es auf die Strecke nach Finisterre. Und doch sind die Menschen immer schon dort hingepilgert, angeblich bereits in heidnischen Zeiten. Sind der Milchstraße gefolgt, weshalb der Camino auch als "Sternenweg" bezeichnet wird.
* Entscheide mich für die im Führer empfohlene Kombi aus zunächst östlicher, dann westlicher Wegalternative, auch wenn das 3 Extrakilometer bedeutet. Schon bescheuert, oder? Gestern noch quäle ich mich zentimeterweise auf kaputten Füßen an Ourense heran, jeden schmerzhaften Schritt verfluchend, und heute, kaum regnet's nimmer, kann ich es kaum erwarten, auf schönen Kombi-Strecken Extrameilen zu hatschen. Pilgerlogik, don't try to understand. :-) -Die schönere Landschaft ist mein Lohn.
* Soeben überqueren bayrische Fernaufklärungskommandos den Rio Miño mittels einer Römerbrücke & beginnen, die Vorstädte von Ourense von Regierungstruppen des Emirs zu säubern. Nachdem sie die Kontrolle über die Hügel um die Stadt erlangt haben, sickern sie unbemerkt in die Vorstadt Cudeiro ein und errichten bei der Ermità San Marcos vorübergehend einen Beobachtungsstand mit breitem Wirkungsbereich über die Stadt. Die Freistaatskriegsflagge weht bereits auf den Kirchtürmen der befreiten Stadtteile. Brezenschwenkende Kinder säumen die Straßen und werfen Blockmalz-Bonbons.
Die älteren Bewohner der Vorstädte singen die Urform der Hymne von 1860, die nur noch wenigen der durchmarschierenden bayrischen Befreiungstruppen bekannt ist:
"...Wo die Rauten-Banner wehen,
Unsre Farben – Weiß und Blau!"
Allen durchmarschierenden Recken gehen diese Zeilen unter die Haut, und auf manchem vernarbten Gesicht blitzt verstohlen eine Träne.
Der Himmel hat - dem feierlichen Anlaß angemessen - aufgeklart. Italienische Verbündete vom Standort Florenz haben sich dem Zug der bayrischen Befreier mit zwei koordiniert operierenden Kampfeinheiten angeschlossen (ausgerüstet mit scheinbar dienstlich gelieferten Armani-Sonnenbrillen), aber haben sich kurz nach Übersetzen des Miño ohne Meldung wieder abgesetzt. Irgendwoher hatten die Erfahreneren der bayrischen Kämpfer bereits so eine Vorahnung...;-)
* Und as we speak marschiere ich grade mit Spitzenlaune aus der (auf einmal) schönen Stadt Ourense hinaus, auf die Berge hinauf, Richtung Apostel, der wohl erneut seine heilige Hand im Spiel hatte und Mitleid mit seinem weitgewanderten Besucher hatte. Alles Leid ist wie weggefegt, sogar meine Fußsohlen sind wieder einsatzfähig - lacht mich ruhig aus, aber es kommt mir echt vor wie ein richtiges Wunder. Ein sehr schönes Geschenk! Wer weiß, was es heißt, tagelang bei Kälte und Regen mit kaputten Füßen durch die Botanik zu latschen, der wird das verstehen.
* Man merkt, daß man näher an den Camino Francès heranrückt: Plötzlich ist jeder 2. Stein mit einem gelben Pfeil versehen, der nach Santiago weist. Plötzlich sind sogar unbedeutende Häuserecken groß genug, daß man im Volltext "Via de la Plata" - und sogar "The Silver Way" (!!!) in gelb draufpinselt. (Das erinnert mich an damals, als wir für englische Gäste völlig schwachsinnigerweise den Ort Engelhartszell zum Spaß mit "Angel Heart's Cell" übersetzt haben) ;-)
* Unglaublich, wie sich die Streckenführung hier in Galicien von den bisherigen Wegen durch Andalusien, die Extremadura und durch Kastilien unterscheidet: Hier ist man permanent in irgendwelchen Mikro-Dörfern, niemals ist man mehr als 5 km unterwegs, ohne auf eine Siedlung zu stoßen. Man hat das Gefühl, daß sich die Käffer zum Teil überschneiden. Sie sind zT so klein, daß sie nicht einmal auf den Wegeskizzen des Sevillaner Führers aufscheinen. Hingegen hatscht man außerhalb von Galicien mitunter tagelang durch gott- und menschenverlassene Einöden.
* Sitze bei der Mittags-Cervezita in einer netten Bar mit schönem Garten im Ort Bòveda, der garantiert in keinem Pilgerführer aufscheint, weil er nur auf dem Verbindungsweg zwischen der östlichen und der westl. Route liegt. Pilger dürften sich also alle paar Schaltjahre hierher verirren. Mich stört's nicht. Der äußerst nette Wirt warnt mich, daß vor mir kilometerweise von Feuer verwüstetes Land liegt. Soll mich nicht schrecken, solang das Feuer aus ist.
* Schade, daß die kleine Bar völlig abseits des Weges hier keinen "Sello" (Pilgerstempel) hat, das hätte mich gefreut, das den Erbsenzählern im Pilgerbüro von Santiago unter die Nase zu halten, wenn sie ihre 100 km Marschleistungsprüfung anhand meines Credencial vornehmen. :-) Die hätten schön geschaut. Vielleicht schaff ich es, ein paar völlig überflüssige & schwachsinnige Stempel einzusammeln?! ;-)
* Das auf Tafeln ausgewiesene Kloster Bòveda (ein echter "Sight off the beaten track", 12. Jhd.!) hab ich versucht zu finden, aber das war mir doch zu weit ab vom Weg. Will ja nicht ganze Nachmittage mit Leermeilen vergeuden, jetzt wo ich so nahe am Apostel bin und den Botafumeiro (das berühmte, gigantisch große Weihrauchfaß) der Kathedrale schon förmlich riechen kann!
* Zum erstenmal an einem Meilenstein mit nur noch zweistelligen Kilometerzahlen bis Santiago vorbeigekommen!! Das pusht!!
* Hab grade begonnen, mein Projekt "Stempel-Meltdown" umzusetzen und mir einen Stempel aus einer Bar im schönen 1-Haus-Dorf Mandras (!) in den Credencial machen lassen. Wenn die "Compostela-Revisoren" vom Santiagoer Pilgerbüro diesen Stempel schonmal gesehen haben, geb ich denen einen aus.
* Bin grad im Refugio von Cea. Superschön hier. Nette Pilger aus Girona haben mir bei der Planung der weiteren Etappe geholfen. Sieht so aus, daß ich die 10 km bis Oseira weiterchargieren muß, um nicht morgen 41 km hatschen zu müssen. Aber erstmal wird hier im Ort verpflegt.
* Wenn die wieder nur die Tapas haben, die ich nimmer sehen kann, dann kauf ich mir Nudeln und koch sie hier selber. Wenn mich die Mönche in Oseira nicht übernachten lassen, gibt es noch einen Taxiservice: +34988282593 bzw. +34606709167 (Vinoteca "O Refugio", in Cotelas-Piñor, 2 km von Cea, mit Übernachtungsmöglichkeit). Nochwas hab ich aufgeklärt: 3 km hinter Outero soll es eine nagelneue Herberge geben, die noch in keinem Führer drinsteht. * Soeben, als ich hier in dieser hübschen Herberge meine berüchtigten Spaghetti al Chris zubereite, kommt hier halb Europa reingeschneit. Es ist echt wie in "L'Alberge Espagnole" (der Film hatte genausogut in einer span. Pilgerherberge spielen können): Das belgische Paar (die Buspilger) ist wieder da, ein weiteres Pulk Belgier ist eben einchargiert, und sogar unsere italienischen "Verbündeten", die uns im Talkessel von Ourense so schmählich im Stich gelassen haben, siend wieder da - wohl, um im adäquaten Rahmen die Details für den Triumphzug anläßlich der Befreiung Galiciens in bella Roma vorzubereiten. ;-) Als wären das nicht genug Stereotype auf einem Haufen, haben sich auch die Katalanen gefreut wie die Schnitzel, als ich ihnen großzügig die 2. Hälfte meiner 500-g-Packung Nudeln überlassen habe... (Sind ja die Schwaben Spaniens) - soll nicht heißen, daß die katalanische Familie hier nicht ultranett wäre! Auch meine beiden alten Freunde Javier & Javier haben mich wieder begrüßt, mit großem Hallo. Sie sind weitgehend fußtechnisch wiederhergestellt, so daß sie den restlichen Etappen zum Apostel zuversichtlich ins Auge sehen. Ich auch, für meinen Teil! Freue mich schon auf das einfache Matratzenlager im Kloster. Los geht's. Nur noch 10 km, dafür vollgemampft mit 250 g Pasta....
* Habs geschafft - bin wohlbehalten im Kloster Oseira angekommen. Meine 2 bayrischen Pilgerkolleginnen sind auch schon da. Sind ja auch schon im Morgengrauen losgezogen. Der Schlafsaal ist in einem Gebäude mit wunderschönem romanischem Gewölbe. Bin hier wesentlich herzlicher aufgenommen worden als ins anderen Klöster. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, daß der Papst aus meiner Gegend kommt. Das war mir noch nie so deutlich bewußt bis heute, als ich von den Mönchen gleich 2mal darauf angesprochen wurde. :-) War mit den Mönchen noch in der Vesper, weil ich finde, daß das dazugehört, wenn man ihre Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. 12 Acive hab ich gezählt. Beide bayrischen Pilgerschwestern legen sich schon um 21:00 ins Bett, um morgen noch früher aufstehen zu können. It's the beat of a very different drummer. Nebenan feiert das Dorf gerade Fiesta, und der Sound dröhnt ins unser dunkles romanisches Gewölbe. Wie ich erwartet habe, ist das Quartier ziemlich hart hier: Kein Licht, keine Klospülung, keine Dusche, nur 1 Waschbecken. Stockbetten gibt's immerhin. Hab mir gedacht, daß ich ja nicht auch gleich ins Bett gehen muß, wenn noch das letzte Abendlicht durch die romanischen Fensterbögen scheint. Bin dann auch gschmeidig losmarschiert, um mir die Fiesta genauer anzuschauen, die so eine Gaudi macht. Wieder was über Spanien gelernt: Die Fiesta hat nicht mal im Ansatz angefangen (22:00)! Die Band ist grad beim Soundcheck, und die Musi war nur Warm-up vom Band. Ein paar alte Nedln saßen beim span. Äquivalent des Schafkopfens, ansonsten keinerlei jeunesse d'orée locale zu sehen. Die kommen offenbar erst um Mitternacht, ken Witz. Aha. Also Ohropax an den Mann. Werd mich wieder zu den schon lange schlafenden Madames gesellen (kriegen die außer Hatschen noch andere Eindrücke vom Camino?) und bissi lesen.
Hasta mañana!
PS: Zwischenstatus von Project Stempel-Meltdown: Hab heut im Kloster meinen 3. Stempel für ein & denselben Tag gekriegt!! Die werden sich freuen in Santiago - falls der Platz für die ganzen Stempel bis dahin reicht... :-)
Chris