Via De La Plata 2006

Tagebuch meines Jakobsweges auf der "Via de la Plata", dem 1000 km langen Pilgerweg von Sevilla nach Santiago. Dieses Jahr stand die 2. Hälfte an, von Grimaldo/Plasencia nach Santiago de Compostela, und noch 130 km weiter nach Finisterre und Muxia, zum "Ende der Welt" am Atlantik.

Tuesday, August 29, 2006

Camino-Tagebuch: Neunundzwanzigster Tag - 28.8.2006




Rückfahrt Muxia - Santiago

* Sitze schon im Bus und laß die Gedanken zurückschweifen auf das letzte Monat Pilgerei. War wirklich ein echtes Privileg, ganze 4 Wochen hatschen zu dürfen, ohne Hektik, durch die schönsten Landschaften Spaniens. Bin etwas sentimental. Gleichzeitig freu ich mich, daß mir einige typisch spanische Aufreger künftig wieder erspart bleiben werden, wie zB die für mich immer noch ungewohnten Essens- und Öffnungszeiten, das dauerunfreundliche, desinteressierte Personal, das ewig gleiche triefend fette Essen, der Verfall ganzer Ortschaften und bisweilen sogar recht neuer Wohnhäuser, die Dörfer ohne ein einziges junges Gesicht, die rücksichtslose Raucherei, vor allem in den Restaurants, die Unfähigkeit und Unwilligkeit, eine einzige andere Sprache als die eigene zu sprechen etc. Vor allem auch das Fehlen jeglichen marktwirtschaftlichen Servicegedankens: Wie gerne würde ich eines der schönen Jakobsweg-Poster kaufen, die in den heiligen Jahren herauskommen und die man gelegentlich in den Bars und Herbergen auf dem Camino sieht. Sowas gibt's in keinem einzigen der Millionen Souvenirshops. Oder nichtspanische Zeitungen oder irgendetwas nichtspanisches zu essen - außer in Santiago aussichtslos. Auch Münzwaschmaschinen würden das Pilgerleben in den Städten und Herbergen so viel leichter machen. Hab ich in einer einzigen Herberge auf der Via gesehen.

* Jetzt, bereits in Santiago angekommen, sitze ich grade auf den Stufen des Museums auf der Praza do Obradoiro und genieße die Abendsonne. Hab mir verschiedene internationale Zeitungen ergattert, die die letzten 3 Tage abdecken. Zeitunglesen ist neben dem Pilgern meine 2. Sucht, und ich hab zu lange ohne meine Dosis auskommen müssen. Ist ein eigenartiges Flair: Über den Platz klingt galicisch-keltische Dudelsackmusik, es flanieren Millionen von "ehrlichen" Touristen, ausgerüstet mit Sonnenhüten und riesigen Kameras vor den respektablen Bäuchen. Und ebensoviele - deutlich erkennbare - Pseudopilger, die sich nicht nur ein Mikro-Daypack auf den Buckel geschnallt haben, sondern auch noch in den weißesten Turnschuhen und den frischesten Baumwollklamotten herumlaufen, einheitlich ausgerüstet mit dem hier an jeder Ecke verkauften "Pilgerstab mit Kalebasse". Ich kann mir nicht einmal im Traum vorstellen, meine Wasserflasche an meinem Wanderstock festzumachen und damit ganze Tagesmärsche zu hatschen. Das Zeug muß ja hin- und herschlagen wie verrückt. Immerhin - sogar auf mittelalterlichen Statuen sind Pilger mit dieser merkwürdigen Kombination dargestellt. Echte Pilger erkennt man an abgelatschten Wanderstiefeln oder Flipflops bzw. Sandalen (die jeder zum Wechseln dabeihat) und an Funktionsfaserkonfektion. Und an der fulminanten Bräune an den Wadeln, die kurz über der Stiefelhöhe abrupt endet. Einige humpeln sogar, die armen.

* Habe mich nochmal in die Krypta zum hl. Apostel begeben, um ihm für seinen Beistand auf meinen Wegen zu danken und ihm alle nochmal alle ans Herz zu legen, denen ich es versprochen hatte. Ich bin immer noch von einer sehr großen Dankbarkeit erfüllt, daß es mir vergönnt war, heil hier anzukommen und sogar bis zum Ende der Welt weiterzugehen.

* Unglaublich - ich hab mitten in Santiago Oma & Opa, meine beiden lieben norddeutschen Pilger von der Via wieder getroffen, und noch ein paar andere bekannte Gesichter vom Weg nach Finisterre. Sind dann mit letzteren bis Mitternacht um die Häuser gezogen. Schöner Abschluß meines letzten Tages in Santiago!

Sunday, August 27, 2006

Camino-Tagebuch: Achtundzwanzigster Tag - 27.8.2006


Etappe Finisterre - Muxia (30,1 km - mit Umwegen 35 km)

* Heute ist mein letzter Hatsch-Tag! Bin früh aufgestanden, um die letzten 30 km zum Marienheiligtum Muxia, zur Kirche A Barca, zu zelebrieren. Freu mich schon. Die Küste entlang nach Norden, durch viele schöne Waldwege.

* Bin wieder airborne! Gehe nach Muxia. Leider wieder Nebelnieselwetter, das die Motivation nicht ins Unendliche steigert.

* So, heut werd ich endgültig sentimental und hab einen ziemlichen Soul (Steigerung von "Blues"). Ich habe meinen 630 km langen Marsch fast schon komplett rum - nur noch ca. 6 km trennen mich von Muxia, mit seinem lokalen Marienheiligtum A Barca, wo die Jungfrau Maria mt einem steinernen Schiff angekommen sein soll. Die schiff-förmigen Felsen liegen heute noch da. Muss superschön sein und - im Gegensatz zu Finisterre - sehr untouristisch und ursprünglich. Die Pilger schlafen in der örtlichen Sporthalle auf dem Boden. Ein weiteres Argument - neben der unerträglichen Schnarcherei - für ein gepflegtes Einzelzimmer im Hostal. Ich verkrafte Pilgerduft und Kettensägengeschnarche wirklich nur noch sehr eingeschränkt. Und ausgerechnet der Welt-Schnarchweltmeister Javier, mein Pilgerfreund von der Via, der wieder daheim in Madrid ist, hat mich lieberweise eingeladen, bei sich zu übernachten, wenn ich meinen Zwischenstopp in Madrid habe. :-) Freue mich wirklich sehr über das liebe Angebot. Werden uns wohl zum Abschluß des gemeinsamen Camino einige wohlverdiente Cervecitas in die Figur schmeißen, wenn ich ihn richtig verstanden hab.

* Abschluß - immer wieder kommt mir dieses Wort wie ein unwillkommener Gast in den Kopf. Meine Beine könnten jetzt ewig weitergehen, ich bin endgültig süchtig danach. Einen Tag aussetzen, und man fühlt sich ohne Aufgabe, und wie ein Fremdkörper. Mich würde jetzt wohl keine Distanz wirklich schrecken, und keine Steigung wäre zu mühsam, keine Wüste zu heiß - ich will endgültig nur mehr weiter, weiter, weiter.

* Ich bin echt froh, daß ich mich doch noch entschlossen habe, nach Muxia weiterzugehen. Wegen dem blöden Regen in der Früh hab ich schon erwogen, darauf zu pfeifen und in mein warmes, trockenes Hostal nach Santiago zu verlegen. Hab mich auch schon an die Bushaltestelle gesetzt, zwischen ca ein Dutzend bekannte Gesichter, alle fahren mit dem Bus nach Santiago zurück. Und grad als der Bus einfährt, reißt der Himmel auf und verspricht schönes Wetter. Das ändert sich hier am Atlantik ratzfatz. Bis der Bus schon die Bremsen gelöst hat, hab ich hin und her überlegt und mir endlich gedacht: Ich würd mich mehr ärgern, wenn ich mich in den Bus setz und es wird auf einmal schön, als wenn ich loshatsche und es regnet die gesamten 30 km. Loshatschen war die richtige Wahl. Schönes Pilgerwetter sieht anders aus, aber es trägt bei zur mystischen Aura des grünen Galicien mit seinen verfallenen Granithäusern. Verfall ist hier das bezeichnendste Wort.

* Habe grade die wohl letzte Möglichkeit wahrgenommen, meinen Camino noch um ein paar km/Minuten zu verlängern, und hab den Umweg über den Praya do Lourido gewählt, einen schönen einsamen Sandstrand unten am Meer. Richtig loslassen will mich der Camino immer noch nicht, obwohl's grad mal noch 7 km bis Muxia sind. Die Endzeitstimmung wird noch verstärkt durch Schilder "Muxia- Fin de Camino". Das Ende aller Wege ist bald erreicht. Wer weiß, wann ich wieder dazu kommen werde, auf den Spuren des Apostels Jakobus zu wandern? Falls ich in naher Zukunft wieder meinen Rucksack packen sollte, dann bin ich (mit jeweils abnehmender Wahrscheinlichkeit) auf einer der folgenden Routen anzutreffen: 1) Französischer Jakobsweg, zB von Arles oder Le Puy 2) Camino del Norte durchs Baskenland oder 3) Camino Primitivo über Oviedo (?).

* Bin mir nicht sicher, ob ich mir möglicherweise durch meine Entscheidung, den "path less traveled by" nach Muxia zu nehmen, den "Bad Idea Award 2006" verdient habe. Denn lustigerweise hören sämtliche Kennzeichen des Weges, Pfeile, Hinweissteine etc, einfach auf an einer Stelle. Die hatten einfach keine Lust zum Weitermarkieren. Oder ging ihnen die gelbe Farbe aus? Na jedenfalls schönen Schrank, ich hatsch einfach der Kompaßnadel nach, Richtung Norden. Hoppla, jetzt kann ich auf einmal das Meer zwischen den Eukapyptusbäumen durchschimmern sehen! Ich glaub ich habs trotz allem bald geschafft.

* Habe vorhin bei einem abgelegenen Bauernhof nach dem Weg fragen wollen. Die Hunde waren froh über etwas Action und haben sich fast auf mich gestürzt. Wanderstock und Pfefferspray haben mir einen Rest von Selbstvertrauen gerettet. Der vermaledeite Bauer wollte nicht einmal nach draußen kommen, um mir den Weg zu zeigen. Er hat einfach vom ersten Stock, vom Zimmer aus, nach draußen geschrien "A bajo!". Mistkerl, so wenig hilfsbereit gegenüber einem Pilger zu sein!

* Bin grad an einer zauberhaften Bucht vorbeigekommen, beim Dorf Cuño. Das besteht nur aus einem einzigen Gehöft, und das steht zum Verkauf. Hätte mir um ein Haar die dort angeschriebene Telefonnummer für Kaufinteressenten notiert. Ein eigenes Dorf am Meer zu besitzen - wäre das nicht ein Traum?

* Soeben bin ich wieder mal einen kleinen Abzweigungsweg reingelatscht, um ein paar schöne Blicke auf das Meer zu werfen, und um ja nicht zu früh bei meiner Camino-Endstation anzukommen. Hier draußen, in der galicischen "Middle of Nowhere", gibt es wunder-wunderschöne Panoramen über die grünen Hügel zum Atlantik. Wäre mal eine Idee, das alles in Ruhe mit dem Auto zu erkunden. Oder mit dem Radl, oder mit Trailrunnigschuhen und ohne Rucksack?

* So, alles in allem dürfte ich durch meine grandiose Idee, eine Nebenroute zu gehen, 5 km mehr gegangen sein. Habe einige Buchten voll ausgelatscht, immer schön durch die Kurve, mit dem Marienheiligtum schon am Horizont. Aber im Ergebnis habe ich so ein paar herrliche Flecken Erde entdeckt. Und meine letzten Meilen noch schön ausgebaut und so den Camino verlängert.

* Die letzten Meter sind wirklich nicht leicht zu gehen. Ich will einfach nicht aufhören. Unten im Tal, in der nächsten Bucht, dürfte das schöne Muxia liegen. Wie wird das sein, wenn ich endgültig (!!) am Ziel bin?! Wenn wirklich gar kein Camino mehr weiterführt? "Muxia - Fin de Camino". Frühestens in einem Jahr werd ich wieder Urlaub haben und mir meine Pilgerschuhe anziehen können. Bis dahin werd ich meine Sehnsucht auf dem österreichischen (oder bayrischen) Jakobsweg oder dem dem Mariazellerweg ausleben müssen.

* Grad in Muxia ankommen! Juchu! 630 km zuende!! Habe mich zuerst pilgermäßig an den schönen verlassenen Strand gesellt und den herrlichen feinen Sand und das Meer genossen. Bin auch ins Wasser. Hab einige Selbstauslöser-Fotos gemacht, wo mein abgelegter Rucksack im Vordergrund liegt und ich von dort weiter Richtung Wasser marschiere. Ist für mich das symbolträchtigste Bild des gesamten Camino. Ich hoffe, es sieht auf dem großen Bildschirm genauso schön aus. Danach Weitermarsch mit nassen Klamotten bis zum Städtchen Muxia.

* Eingecheckt bei netter Señorita, die Gästezimmer vermietet. Will unbedingt schnarchfrei bleiben heute, also keine Herberge. Der Preis (30 Euro) zieht mir allerdings die Schuhe aus - das wurde mir eigentlich als Preis für ein gutes örtliches Hotel genannt.

* War grad in der Messe im Santuario de la Virjen de la Barca. Jetzt sitz ich davor auf einigen der merkwürdig geformten Felsen und schau aufs recht wilde Meer. Unglaublich - endlich angekommen nach einem Monat Hatscherei! Der Eindruck wäre noch stärker, wenn nicht die heutigen Touristenmassen versammelt wären, die ratschend und dauerrauchend mit schreienden Kindern in der Landschaft stehen. Ich hab selten so viele Raucher gesehen wie hier in Spanien. Offenbar gibt es ein neues Gesetz, daß man in Bars nicht rauchen darf, sofern man kein Schild aufgehängt hat, daß Rauchen hier explizit erlaubt ist. Und dieses Schild hängt original in genau jeder (!) Bar! Noch schlimmer als die Rauchpest ist der permanente TV-Lärm, weil die Glotze immer und überall an ist. Und - noch schlimmer - heut ist irgendein Real Madrid-Spiel. Das hört man live aus jeder Bar dröhnen.

* Es ist fast wie in einer Komödie: Komme am einzigen Restaurant des Ortes vorbei, wo meine 2 Lieblingsspeisen "Pizza y Hamburguesa" angeboten werden - und es hat geschlossen. Manchmal packt man das Schicksal in seiner gesamten Härte nicht mehr, vor allem passiert das in Spanien! - Jetzt bin ich in einer anderen Bar, wo sie angeblich Hamburger haben, bin mal gespannt.

* Ich bin nicht sehr begeistert von dem Eindruck, den die Locals hier machen: Die Frauen in Putzkitteln auf der Straße, die Männer in Joggingklamotten, alle rauchend auf der Straße, manche heftig streitend, viele mit irreal heiser klingenden Reibeisel-Raucherstimmen. Und um die nächste Ecke schon wieder der nächste aggressiv kläffende Köter, der sich an meine Fersen heftet und immer näher kommt, bis ich ihm deutlich mache, daß er Glen van Peski's 100 Gramm leichten Glasfaser-Wanderstock mit gefühlten 280 km/h auf die Mütze kriegt, wenn er nicht etwas unaufdringlicher seine Pflicht tut. Echt zum Kotzen, was man in diesem Teil Galiciens für aggressive Köter trifft.

* Hab heute meine dritte Pilgerurkunde bekommen. Santiago verleiht seit dem späten Mittelalter die Compostela, Finisterre ist seit ein paar Jahren mitgezogen und verleiht für die Pilgerschaft von Santiago nach Finisterre eine eigene (m.E. noch schönere Urkunde), und sogar das abseits gelegene Muxia wollte nicht ganz im Aus stehen und stellt nun eine eigene Urkunde für Pilger aus. Zumindest in Santiago und Finisterre wird sogar ziemlich akribisch der Credencial mit allen Pilgerstempeln und Datumseinträgen überprüft, ob die Laufleistung überhaupt glaubwürdig ist. Das führt zu dem sehr merkwürdigen Ergebnis, daß Pilger, die 2 Tagesetappen am Stück machen (zB 50-60 km an einem Tag gehen) regelmäßig keine Urkunde kriegen, weil man ihnen unterstellt, sie wären gefahren. In Finisterre haben einige solcher Extrempilger deshalb nicht mal einen Platz in der Herberge bekommen - man hat ihnen ihre Laufleistung nicht abgenommen.

* Der letzte Pilgertag ist fast vorbei. Im Städtchen ist rein gar nix los, deshalb hab ich mich in mein Bett zum Lesen verkrümelt. Mir ist grad eingefallen, daß ich die heute zuende gegangene Pilgerfahrt als Dankwallfahrt gegangen bin, weil mir soviel gutes passiert ist in letzter Zeit, insbesondere der erfolgreiche Jobwechsel. Aber eigentlich müßte ich viel mehr dankbar sein, daß ich überhaupt mit heilen Knochen hier am Ende des Endes der Welt angekommen bin: Die Schuhe haben keine allzugroßen Probleme gemacht, kaum Blasen, die Fitness & die Gesundheit haben mitgespielt, die Motivation hat mich auch nach 3 Tagen Dauerregen nicht im Stich gelassen, das Gear war im Allgemeinen zuverlässig, ich hab keine bösen Menschen getroffen, bin nicht betrogen oder bestohlen worden, und ich hab viele interessante, manchmal ziemlich verrückte Menschen kennengelernt. Ich hab die wochenlange Einsamkeit der Via de la Plata genauso überstanden wie das Touristengewurl von Santiago und die übervollen Herbergen bis Finisterre. Ich bin ziemlich stolz, daß ich's geschafft hab. Und trotzdem - warum soll ich stolz sein, wenn ich doch bloß der Beschenkte bin?

Camino-Tagebuch: Siebenundzwanzigster Tag - 26.8.2006

Strandtag in Finisterre

* Was soll ich heut schreiben? Es gibt kaum was zu berichten. Ich mach einen entspannten Strandtag und lüfte meine Birne aus von der gestrigen herrlichen Lagerfeuerfiesta. Bin noch ziemlich zermatscht.

* Was heut passieren wird? Mein Vorschlag: Gar nix. Hab mir in einem Laden das einzige englische Buch gekauft, das einigermaßen lesbar scheint. Das les ich jetzt gemütlich, am einzigen Strand, der gleich neben dem Dorfzentrum von Finisterre/Fisterra liegt. Einige mittelalterliche deutsche Pilger haben Finisterre den Spottnamen "Finstrer Stern" verpaßt, was ich nicht ganz nachvollziehen kann.

* Morgen werd ich wohl nach Muxia weiterpilgern - man kommt sich ohne Gehen etwas zwecklos vor als Pilger. Das Gehen fehlt einem.

* In diesem Dörflein sieht man immer die gleichen Pilgergesichter, ist echt lustig. Die härtesten Strandpartyfreaks haben sich offenbar auch in meinem Hostal einquartiert. So bin ich wohl heut abend direkt an der Quelle, um mitzukriegen, wo was abgeht. Hätte nichts gegen einen weiteren Sundowner am Leuchtturm und eine weitere Lagerfeuerfiesta.

* Bin den deutschen Extrempiilgern über den Weg gelaufen, die auch in meinem Hostal wohnen. Waren gemeinsam Burgermampfen und danach unterwegs in den Bergen hoch über dem Leuchtturm, um den Sonnenuntergang zu sehen. War unbeschreiblich schön. Links und rechts das unendliche, flache, leere Meer. Strände, kleine Dörfer im Abendlicht. Haben auch versucht, die Ruinen der Ermitaje San Guillermo zu finden, aber es war dann schon zu finster. Die Ruine war zu gut versteckt im Unterholz. Da wäre ein bettförmiger Stein gewesen, der im Mittelalter für Fruchtbarkeitsrituale gedient hat. Unfruchtbare Paare haben dort ...nunja. Also kein Ort, an dem man irgendwelche Urlaubsbekanntschaften hinschleppen sollte, Jungs! ;-)

* Danach waren wir in einer gemütlichen Bar, die wohl daheim eine meiner Lieblingsbars wäre. Plüschig, gemütlich, mit Krimskrams an den Wänden und sogar mit Bücherregalen. Echt cool.

Camino-Tagebuch: Sechsundzwanzigster Tag - 25.8.2006






Etappe Olveiroa - Finisterre (36 km)

* Soeben bin ich in Finisterre angekommen, am Ende der Welt!! Der Nebel hängt noch etwas zwischen Himmel und Erde, aber zumindest der Regen hat aufgehört, gottseidank.

* Bin in einer Hospedaje eingecheckt, mit Meerblick, draußen brüllen die Möwen. Herrlich. Die Füße haben heut wieder eine Aquariumpackung vom Regen bekommen, notdürftig hab ich die Schuhe beim Zwischenstopp in der Bar mit Zeitungspapier ausgestopft und trockene Socken angezogen. Hat sich ausgezahlt.

* Jetzt wird erstmal geduscht, danach verpflegt, vielleicht krieg ich meine Wäsche gewaschen, und irgendwann verlege ich die allerletzten 3 km meines 600 km langen Weges raus zum Leuchtturm von Finisterre. Dort werd ich wohl einige bekannte Gesichter vom Weg zwischen Santiago und Finisterre treffen.

* Jetzt komme ich erstmals so richtig zum Durchatmen. Alles fällt von mir ab. Ich hab noch ein paar Tage Zeit, keine Hast, keine Eile. Nur ein neues Buch bräucht ich langsam mal.

* Waren gerade am Leuchtturm am Ende der Welt. Sehr beeindruckernd. Leider fängt der Leuchtturm um ca 20:00 an, ein Blas-Turm zu werden. Dh er bläst aus riesigen Schallhörnern Millionen Dezibel ins Meer hinaus. Das halten die meisten der vielen Touristen nicht aus, und daher hat sich die Aussichtsklippe recht flott geleert - endlich. Waren dann ziemlich allein mit ca einem Dutzend Pilger: Ein Pulk lustige Spanier mit einer Flasche eines geheimnisvollen gelben baskischen Kräuterlikörs, ein Argentinier und ein paar Italiener. Die meisten kannte ich schon vom Camino nach Finisterre. Fast alle haben - einer uralten Pilgertradition folgend - ein Kleidungsstück auf einer dafür bereitstehenden Feuerstelle verbrannt. Auch ich hab eines meiner T-Shirts den Flammen anvertraut. Wir, ein Ami, eine Holländerin und ich, hatten zwei Flaschen Rotwein dabei, die wir ebenfalls pilgemäßig mit allen geteilt haben. Es war eine ganz eigene, kaum beschreibbare Stimmung des Abschiednehmens. Die meisten waren seit Wochen zu Fuß unterwegs und waren nun an dem ersehnten Punkt angelangt, wo es einfach nicht mehr weiter geht. Eine Pilgerin war in Trauer wegen ihrem verstorbenen Mann und hat von einer Stelle weiter unten an den Klippen bestimmte Sachen ins Meer geworfen, die ihr Mann ihr zu diesem Zweck anvertraut hatte. Das war sehr ergreifend.

* Nachdem wir netterweise auf dem Rückweg ins Dorf von zwei Spaniern im Auto mitgenommen wurden, hat uns einer der deutschen Extrempilger (die gehen unvorstellbar lange Strecken, bis 70 km, und schlafen meistens draußen) gesagt, daß auf einem abgelegenen Strand eine Pilgerfiesta ist. Sind dann gemeinsam mit dem Taxi hingefahren. Mitten auf dem nächtlichen Strand saßen um die 30 Mann um ein schönes Lagerfeuer und jeder hatte was zu Trinken dabei. Es war eine umwerfende Stimmung. Sogar eine Gitarre hatte einer dabei, so daß wir herrlich in den nächtlichen Strand hinaussingen konnten. Das Meer hat gerauscht, und es war fast schon kitschig, weil alles so schön ins Pilgerparty-Klischee von Finisterre gepaßt hat. Die meisten scheinen am Strand gepennt zu haben, ich bin wieder nach Finisterre zurückgelaufen. Ist ca eine halbe Stunde zu Fuß, aber das schreckt einen Langstreckenpilger nicht.

Thursday, August 24, 2006

Camino-Tagebuch: Fünfundzwanzigster Tag - 24.8.2006


Etappe Negreira - Olveiroa (35 km)

* Bin heut um 07:45 los - ist ja nicht unbedingt eine Kurzetappe, die zu bewältigen ist. Der Schlafsack war ziemlich naß, wohl von dem Tau, weil ich draußen geschlafen hab. In der Herberge war mir zuviel los. Waren Pilger in der Stärke von ca. 2 Schulklassen einquartiert. Hab mich schon recht gut mit einigen Freaks vom Camino Francès angefreundet, aus aller Herren Länder. Am kuriosesten ist wohl ein älterer Holländer, der von Amsterdam aus unterwegs ist und ein Ami, der seit Aubrac in Südfrankreich am Hatschen ist. Hatten ordentlich abends halligalli, saßen um einen riesigen Topf Nudeln als aglio, mit Rotwein und cervezitas. Sehr nette Atmo. Ist mir trotzdem ein bissl zu viel Trubel, immerhin hab ich die letzten 3 Wochen halb Spanien einsam wie ein Eremit durchquert, auf einer Route, die hier niemand kennt. Die Leute, die hier nach Finisterre unterwegs sind, sind immerhin durch die Bank echte Pilger, die sich nicht schrecken, wenn sie fast 40 km zur nächsten Übernachtungsmöglichkeit hatschen müssen. Sogar mein nettes Preußen-Ehepaar von der Via de la Plata ist wieder dabei, die kennt hier jeder als "Oma und Opa" :-)

* Heut hab ich den deutschen Pilgerbruder Jens in einem Café eingeholt, und seitdem hatschen wir vergnügt miteinander. Schön, wieder mal nette Gesellschaft zu haben. Reißen einen Schmäh nach dem anderen.

* Das Land um uns herum ist faszinierend still. Nur der Wind streicht drüber, ansonsten ist alles wie ausgestorben. Es ist in der Tat so, wie man sich das Ende der Welt vorstellt. Das muß man echt erlebt haben. Anders als auf den Wegen vor Santiago fragt man sich nicht mehr, was wohl hinter der nächsten Ecke kommen mag, man erwartet keine Sensationen und Sehenswürdigkeiten, man wandert einfach vollkommen frei dahin. Herrlich!

* Völlig unbekannt von der Via de la Plata ist auch für mich die Erfahrung von ausgebuchten Herbergen, wo man extrem viele Leute aus aller Herren Länder trifft. Auf der Via gab's fast nur Spanier. Hier gibt's alles vom Argentinier, über den Ami, über die obligatorischen Holländer, bis zu den Deutschen. Sogar ein Kärntner ist am Start.
* Lieg gschmeidig im Bett in der Herberge. Heute viel g'hatscht (35 km) morgen wieder (36 km), danach Finisterre & Meer & Klippen & Strand! Freu mich schon.

* Die gelben Markierungspfeile, die früher auf den Bäumen waren, sind vielfach durch die Waldbrände verschwunden. Gottseidank gibt es in Galicien häufig steinerne Kilometersteine mit Richtungsanzeige. Ohne Führer hätte man aber eher schlechte Karten.

* Oft ist man überrascht über die herbstlich wirkenden Wälder. Die gelbe Farbe der Blätter kommt aber davon, daß das Bodengewächs gebrannt hat und die unteren Teile der Baumstämme verkohlt hat. Dann stirbt der gesamte obere Baum mit ab. Die Galicische Regierung hat den hier überall künstlich euingeführten Eukalyptusbäumen eine Mitschuld am verheerenden Ausmaß der Waldbrände gegeben und gesagt, daß diese Bäume eine echte "Bomba" sind. Die Wiederaufforstung soll weitgehend ohne Eukalyptus erfolgen.

* Ca. 4000 Wildpferde sind auch von den Waldbränden betroffen und größtenteils verschollen.

* Mehr hab ich heut beim besten Willen nicht zu berichten. Es war schlicht & einfach eine lange und wunderschöne Etappe in Richtung Ende der Welt. Mit Worten kaum beschreibbar.

Wednesday, August 23, 2006

Camino-Tagebuch: Vierundzwanzigster Tag - 23.8.2006


Etappe Santiago - Negreira (23 km)

* Wenn der Einmarsch nach Santiago für einen Pilger das Größte ist, dann ist das Weitermarschieren aus Santiago hinaus die absolute Krönung.

* Himmel ist bedeckt, sieht nicht mehr so azurblau aus wie bisher. Hab vorsichtshalber mal alles regendicht verpackt.

* Zweifelhafter Nebeneffekt der gestrigen gelungenen Reparatur meines Hüftgurts ist, daß er jetzt wieder sehr stramm um die Hüften sitzt. Das schmeichelhafte lockere Umspielen meiner vermeintlich extrem geschrumpften Körperfülle war also nur ein Materialfehler. :-(

* ich geb den Glauben nicht auf, hier doch noch an irgendeinem Stand eine einzige nichtspanische Zeitung zu ergattern. Das Verkaufsfachpersonal beantwortet meine Anfrage nach "periodicos internacionales" mit einem abschätzigen "no!,, als hätte ich sie um ein sehr, sehr schlüpfriges Hochglanzmagazin gebeten.

* So, jetzt werden erstmal die obligatorischen Churros con Chocolate in die Figur eingeworfen, dann kann der Tag kommen. Mein Favorit: die gepflegte, freundliche Bar Iacobus gegenüber vom Burger King. * Unglaublich, das Gefühl, wieder on the Road zu sein. Herrlich! Sogar die bekannten gelben Flechas sind wieder da! Nur während alle anderen gelben Markierungspfeile auf den dutzenden Jakobsweges in Europa alle Richrtung Santiago weisen, führen diese aus der Stadt hinaus in Richtung aufs unendliche Meer.

* Durch diese verbrannten, verwüsteten Eukalyptuswälder zu gehen ist wie ein Marsspaziergang. Das Feuer ist bis wenige Meter an Santiago herangekommen, direkt hinter der Stadt beginnt die Verwüstung, geschaffen von "organisierten Banden", wie die Polizei sagt.

* Laut meinem Eintrag vom 6.8. (Tag 7) hatte meine Recherche auf der Webseite der Touristeninformation Galiciens ergeben: - Negreira - Olveiroa (Herberge) über Sta. Comba: 42 km. Das widerspricht ziemlich deutlich der Kilometerangabe aus Michael Kasper's Camino-Francès-Führer, der eine hervorragende Beschreibung des Weges nach Finisterre enthält. Laut Führer sind's "nur" 35 km. Die 7 zusätzlichen km würden aber am Ende der Etappe durchaus einen gewaltigen Unterschied machen.

* Herrlich, hier genüßlich und "tranquilo"durch die gepflegten Orte zu pilgern. Es ist so perfekt still, daß man sich tatsächlich schon wie am Ende der Welt fühlt. Nirgends eine Menschenseele. Die Dörflein sind wirklich sehr hübsch - keine ärmlichen, verfallenen Buden wie weiter südlich im Gebirge. Und wie um den höheren Wohlstand deutlich zu machen, finden sich hier überall Weinstöcke, und sei es nur zur Verschönerung des Eingangsbereiches eines Landhauses.

Camino-Tagebuch: Dreiundzwanzigster Tag - 22.8.2006


Etappe Santiaguiño - Santiago (17,3 km)

* Bin schon am Start. Es geht durch traumhafte Eukalyptuswälder. Unten in den grünen galicischen Tälern steht noch der Morgennebel.

* Der Fall Santiagos steht unmittelbar bevor! Die Wachen des Emirs, die seit der ersten kurzfristigen Befreiung durch bayerische Heere im Jahr 2002 wieder durch die Stadt patroullieren, ahnen noch nichts vom kommenden Wendepunkt in der Geschichte Galiciens. Sie wissen noch nicht, daß die Speerspitze der Befreier in wenigen Wochen aus dem tiefen Süden der Extremadura, bis über die Hochebenen Kastiliens, und nun in das Herzstück Galiciens vorgestoßen ist und halb Spanien der Oberherrschaft Cordobas entrissen hat. Zwischen der Mündung des Guadalquivir ins Mittelmeer und den grünen Hügeln Nordspaniens weht die weißblaue Flagge auf allen Kirchtürmen. Heidnische Gedenkstätten wurden konsequent zu Bierkellern umgebaut.

* Das Gehen wäre noch mehr Gaudi, wenn ich nicht - wie letztesmal - zu spät dran wäre für die 12:00 Pilgermesse. :-( Jetzt heiß"s Gas geben!

* Gestern hab ich mit den bayrischen Pilgerinnen ausgemacht, daß wir die letzten 17 km gemeinsam nach Santiago hatschen, und daß sie mich dazu rechtzeitig wecken. Haben mich auch geweckt, aber sind dann schon 15 min später mit kurzem Servus in die Morgendämmerung verschwunden, um allein zu gehen: "Du holst uns eh unterwegs ein". Bin nicht sehr amused.

* Während einzelne Pioniereinheiten zum Schein eine triphibische Landung bayrischer Spezialkräfte in das Herz der Stadt vorbereiten, stößt die Infanteriespitze des bayrischen Befreiungsheeres tief in die Vororte von Santiago vor. Es kommt zu vereinzelten Interaktionen mit Zivilisten, Widerstand bleibt jedoch aus. Die Besatzungstruppen sind entweder gut getarnt in ihren Unterständen oder haben sich bereits in das umliegende Küstengebirge zurückgezogen. Keilförmig schiebt sich nun die Infanterie vorwärts. Punkt 12 soll die Nachricht von der Einnahme der Stadt von den Kanzeln der Kathedrale verkündet werden.

* Erstmals liegt nunmehr das Staftzentrum im Wirkungsbereich bayrischer Infanterie!! Ein unglaubliches Gefühl!!

* In diesen Minuten bin ich in die Stadt einmarschiert, bei schönstem, blauem Himmel, um 10:15. Unglaublich, hab ich für die 17,3 km bloß 2,5 h gebraucht? Wieder ein Wunder, und das auf der Schlußetappe? Ich muß geflogen sein! "I could fly higher than an eagle, if you are the wind beneath my wings!"

* Jetzt steh ich grade in der Schlange von Pilgern(Ja, eine Riesenschlange, die bis auf die Straße rausgeht), um die Compostela-Urkunde zu holen. 2002 waren zur Hochsaison noch 3,4 Hanseln vor mir angestanden, jetzt scheint die gesamte (vor allem spanische) Pilgerschaft auf der Treppe zum bischöflichen Pilgerbüro angetreten. Da gibt es die üblichen "Helden des Camino", die sich dramatisch ihre Erlebnisse und angeblichen Kilometerleistungen erzählen, durchdesignte dürre Radpilger mit den angesagtesten Oakleys auf den kahlen Köpfen, Lifestyle-Pilger mit Rucksack und blitzsauberen, frischen Klamotten, hagere, drahtige, dunkelbraun gebrannte kurzhaarige Marathonläufer älteren Semesters mit weißem Bart und eine Portion tätowierte Interrail-Style Pilger im Batik-Look mit langen Haaren und riesigen Pilgerstäben. Sogar einen Metal-Pilger mit dämonischem Ziegenbart und mit schwarzem T-Shirt von irgendeiner unlesbaren Metal-Gruppe hab ich gesehen! Was der Apostel dazu sagt? Einige sehen aus als hätten sie sich am Souvenirshop um die Ecke noch schnell mit Erinnerungs-Pilgerstock und Einweg-Filz-Pelerine (Pilgerhut) eingedeckt. Auberge Español. Wohl sind alle vom Camino Francès gekommen. Von der einsamen Via de la Plata trifft man keinen, die gehen hier zahlenmäßig unter. Kennen würde man sich jedenfalls. Irre Atmo hier: Die Luft ist zum Schneiden vor Pilgerschweiß. Mist, schon einmal ist das Wort "Finisterre" gefallen ("da muß man hin"), und ich wollte doch am liebsten maximale Einsamkeit haben. Diese Camino-Francès-Interrail-Blase ist nicht meins. Seid umschlungen, Millionen - wo wart ihr eigentlich alle auf dem Camino?! Kennst ihr Euch alle vom gemeinsamen Warten an den Bushaltestellen?

* Hier geht es mit der Geschwindigkeit einer Wanderdüne voran. :-( Zwischendurch läutet eines der zahlreichen Handies mit topmodernen Klingeltönen. Wie man es von der Albergue kennt, läßt man es halt einfach läuten.

* Nach 5 min intensiven Prüfens meiner zahlreichen Stempel und eniger kritischer Nachfragen hat mir die Oficina-de-Peregrino-Maus doch noch die Compostela ausgestellt! Sie war mit der Anreise über Galisteo/Plasencia auf der Via de la Plata nicht sehr vertraut. Umso genauer nahm sie die lächerlich vielen überflüssigen Stempel und Datumsangaben aus den letzten 3 Tagen (Project Stempelmeltdown!) unter die Lupe. Das Projekt des Schwachsinnstempelsammelns war damit ein voller Erfolg. Ehrlich gesagt bin ich ja froh, wenn die Prüfung der Voraussetzungen für die Compostela im Zweifel etwas kritischer als nötig erfolgt, damit nicht jeder Pseudo-Pilger-Bozo nach 2 Tagen leichten Spazierens (mit Begleitfahrzeug!) mit dieser schönen Urkunde rumläuft. Ein Blick auf die Pilgerliste mit den 30 Einträgen vor mir hat mich zusätzlich überzeugt, daß man als Via-Pilger (noch dazu mit einer 500 km-Distanz zu Fuß) die absolute Ausnahme darstellt.

* Gear-Report! Sieht so aus als hat mein Ultralight-Rucksack die Zeiten seiner Peakperformance hinter sich, der Hüftgurt löst sich. Muss einen Schuster o.ä. finden, der mir das Teil näht, sonst kann ich höchstens mit vollen Hosentaschen nach Finisterre pilgern. (Wäre sogar für meinen Geschmack ein zu konsequentes "Sub-Ultralight Pilgrimaging")

* Mittlerweile war ich schon in der Pilgermesse. Pfarrer aus 6 Nationen waren im Präsid. Alle Pilger, die von weither zu Fuß gehatscht sind, wurden im Begrüßungswort erwähnt. Der Pfarrer hat aber so genuschelt, daß ich kaum verstanden hab, ob ich dabei war. Hab sogar die 2 valencianischen Fußpilger von der Via wiedergetroffen. Wurden unterwegs wieder einmal von den beiden bayrischen Mädels eingeholt, was natürlich mächtig Eindruck auf sie macht. Von letzteren hab ich seit ihrem merkwürdigen Stunt heut früh nix mehr gesehen - lege auch keinen verschärften Wert mehr drauf.

* Ist wirklich herrlich hier, müßte ca. 35 Grad haben. Genieße den Tag. Pilgermesse war auch schon. Morgen wird weitergehatscht zum Atlantik. 100 km. Jetzt noch kleine Orga-Time: Rucksack richten lassen, Instruktionen für Marsch nach Finisterre ausdrucken (Danke Dani!!), im Internetcafé Email-Postfach ausmisten, für morgen früh Churros klarmachen, abhängen und entspannen. Meine lange vermißten Burgers hab ich gleich als erstes verdrückt, das war ich mir schuldig. :-)

* Jetzt wo ich geduscht bin und keinen vollen Rucksack mehr am Buckel hab, komme ich mir zwischen den ganzen Pilgern vor als gehör ich nicht mehr dazu. Ist ein merkwürdiges Gefühl, das mir schon mehrere Pilgerbrüder genauso geschildert haben.

* Interessanterweise war diesmal der Eindruck der Pilgermesse nicht so überwältigend auf mich wie letztesmal nach dem C. Francès. Woran lag's? Vielleicht kennt man das ganze Zeremoniell einfach schon. Mit den intensivsten Erfahrungen, mit den "Good old Times" ist es meiner Meinung so: You can't re-live it. Niemals kann man einen bestimmten intensiven Eindruck so oder ähnlich wiederholen. Beim 2. Mal ist es eben nur das 2. Mal.

* Das Hatschen wird langsam zur Sucht.
Nachdem ich heute meinen lange gehegten Traum erfüllt hab und die gesamte Via de la Plata von Sevilla bis Santiago (1000 km) zu Fuß durchwandert bin, hab ich ein merkwürdiges Gefühl. Bin um einige herrliche Erfahrungen reicher, aber um einen Traum ärmer. Ich würde gerne die Uhr nochmal zurückdrehen zu der Zeit, als ich noch geplant, getüftelt, optimiert und trainiert hab, um den Marsch zu schaffen. Als noch gar nicht klar war, ob es zeitlich jemals gehen wird, ob nicht irgendeine Krankheitsphase dazwischenkommt, irgendwelche unerträglichen Blasen an den Füßen etc.

* Jetzt geh ich mal beim Apostel vorbei und denk an Euch daheim.

* Ich möchte meinen Bericht der Pilgerreise nach Santiago an dieser Stelle ergänzen mit einem Schlußzitat aus Lozano's Camino-Führer:

"Und damit ist unsere Pflicht getan. Wir verlassen Dich, frommer Pilger, hier zu Füßen des Apostels, nachdem wir Dich auf dem mühsamen, fast 1000 km langen Weg begleitet haben."

Der Weg war in der Tat mühsam, bisweilen eine Tortur (zB die letzten 3 Regen-Etappen mit entzündeten Füßen vor Ourense), aber es hat sich gelohnt.

Es liegen insgesamt tatsächlich 1000 km hinter mir: 500 km im Jahr 2003, und 500 km im Jahr 2006. Und das schönste: Es liegen noch weitere 100 bzw. 120 km vor mir: Sehr schöne, sehr einsame Kilometer bis zu den Atlantikklippen und, wenn es sein darf, an den Atlantikklippen entlang nach Norden bis nach Muxia.
Diese letzten Etappen auf dem Camino de Fisterra sind das eigentliche Herzstück meines diesjährigen Jakobsweges. Dieses Stück bedeutet für mich das "Ultreia", das "immer weiter". Es macht aus einem Fußmarsch-Marathon einen Ultramarathon. Endlich wird es auch nochmal so richtig einsam werden.

Monday, August 21, 2006

Camino-Tagebuch: Zweiundzwanzigster Tag - 21.8.2006



Etappe Laxe/Lalín - Santiaguiño (35,3 km)

* Heute aufgebrochen um 07:45. Herrlich sonniger Tag. Je näher man an Santiago herankommt, desto feuchter und nebliger wird es. Das hätte ich wissen müssen: Die Wäsche, die ich gestern zum "trocknen" rausgehängt hab, ist jetzt tropfnaß. Wieder ein bissl schlauer geworden :-( Jetzt schlepp ich ein paar Pfund Wasser extra vollkommen sinnlos durch die Gegend. Na supi. Muss jetzt so schnell hatschen, daß ich zum Trocknen "Fahrtwind" erzeuge :-)

* Hab mir aus lauter Vorfreude darauf, in Santiago endlich allein in 1 Zimmer zu schlafen, gleich ein Zimmer in einer Pension reserviert, die mir ein Freund empfohlen hat. Brauche nix so sehr wie meine Ruhe vor den anderen "Pilgern". War gestern eine 8-köpfige Gruppe aus Sevilla bei mir im Schlafsaal. Was die eigentlich sehr netten und lustigen Andalusier (ich lach mich jedesmal schlapp bei dem Akzent) an Schnarcherei und Lärm veranstaltet haben, war grauenhaft. Auch mein Konzept mit den 2 verschiedenen Schlafsäcken (dazu Gear-Report weiter unten) hat sich nicht bewährt: Hab gefroren wie ein Schneider. Jetzt nur noch einmal Pilgerherberge, dann endlich wieder Einzelzimmer!!! - Hätte mich ohrfeigen können - im Erdgeschoß der Herberge gibt es ein schönes, abgelegenes Matratzenlager. Da hätte niemand geschnarcht und gelärmt. Lektion daraus: Wenn Dich eine Hospitalera irgend einem Bett zuweist, dann nimm es auch so an - vorläufig. Dann mach dich auf die Socken, ob Du was abgelegeneres findest. Und wenn alle anderen im Saal versichern, daß sie nicht schnarchen - das sind meistens die lautesten Schnarcher!

* Ich hab zunächst gedacht, die Sevillaner wären - naheliegenderweise - von Sevilla aus auf die Via aufgebrochen. Von wegen, die gehen genau die letzten 5 Tage nach Santiago, bei 10-20 km am Tag keine guinessbuchverdächtige Leistung. Dafür haben mich einige Sprüche des Sevilla-Papas ziemlich amused. Ich sagte ihm auf Nachfrage, daß ich in Plasencia angefangen habe zu pilgern. Er überlegte ein bissl, dann meinte er skeptisch: "Plasencia liegt gar nicht auf dem Camino!" - was fällt dir dazu ein?!? Jetzt hatsche ich schon 450 km quer durch Spanien, per Bus angelandet in Plasencia, dann zu Fuß losmarschiert im nahegelegenen Galisteo, und jetzt muß ich mir sowas von einem Möchtegernpilger sagen lassen, der nur mit der Minimaldistanz die Pilgerurkunde abzocken möchte :-))))

* Andere "Helden des Camino" in der Herberge: Ein paar belgische "Buspilger", die noch niemand richtig hatschen gesehen hat, die aber immer grad in Richtung Bushaltestelle gehen, dafür aber die dramatischen Rucksäcke aufhaben und jeden Abend theaterreif abgearbeitet in den Herbergen aufschlagen (die eigentlich strctissime für reine Fußpilger vorbehalten sind). Lassen sogar ihre Bustickets in den Herbergen rumliegen...

* Weitere "Helden": Die sehr nette Familie aus Katalonien, die laut eigener Ansage gestern 40 km gehatscht ist (und trotzdem vor mir in der Herberge war - ohne mich zu überholen! Ein Jakobswunder?), und die deshalb so "fertig" sind, daß sie kaum was essen können. Auch die sind, habe ich grade gehört, "mit dem Bus gepilgert". Haben mit ihren Stories die Hospitalera belogen, ihre Mitpilger in der Herberge und - in erster Linie - sich selbst.

* Je näher man an Santiago herankommt, desto mehr schräge Vögel trifft man. Deren Gschichtln sollte man nicht allzuviel glauben schenken. Pseudo-Pilger aller Länder vereinigt Euch in Lalín!

* Wieder erweist sich eine Hoffnung als trügerisch: die einzige Bar in Lalïn, die angeblich sogar Frühstück macht, hat am Montagmorgen zu. Also mit knurrendem Magen aufgebrochen. Dafür sitz ich jetzt im Städtchen Silleda beim 2. Café con leche mit Croissant und hole alles nach. Trotz der vielen "Pilger", die alle fast gleichzeitig aufgebrochen sind, hab ich es geschafft, niemandem über den Weg zu laufen. So nah an Santiago ist es fast unmöglich, die bisher so liebgewonnene Einsamkeit beim Gehen zu bewahren.

* Im Vergleich zu den Buspilgern sehr lieb und ehrlich sind die beiden älteren Preußen, die ich gerade eingeholt habe. Haben mir von Finisterre vorgeschwärmt, auf das ich mich mittlerweile mehr freu als auf Santiago. :-) Die wollen auch nochmal hinmarschieren.

* Morgen nur eine 17,5-km-Etappe, und ich steh pünktlich zur 12-Uhr-Pilgermesse vor dem Apostel! Freu mich schon. Ist so, wie einen alten Freund wiederzusehen. So ähnlich läuft ja auch das Begrüßungsritual mit der Statue des hl. Apostels auch ab: Man umarmt die Statue herzlich, einmal verneigt man sich links dabei, einmal rechts. Letztesmal war ich beim Einmarsch in die Kathedrale, zwischen Heerscharen von Pilgern, so ergriffen, daß mir altem Haudegen die Tränen gekommen sind, fast die ganze Messe lang.

* Sitze mittags grade in einer Bar in Bandeiras (17 km schon hinter mir) und hab mir -zur Abwechslung- ein Bocadillo de Jamon bestellt. :-) Zum Mitnehmen, das mampf ich unterwegs. Dazu gibts ein Cervezita aus dem einzigen Halbliterkrug des Hauses, der extra aus der Küche geholt werden mußte. Hoffe, daß es ein sonniger, windiger Tag wird heute, damit der ganze nasse Klammotten-Kaufladen, der außen am Rucksack hängt, trocknen kann.

* Gear-Report! Habe für die kälteren Nächte einen Daunen-Ultralightschlafsack dabei, den wirklich extrem leichten Beeline 900 von North Face. Und weil ich durch sehr heiße Zonen komme, hab ich zusätzlich als Alternative einen reinen Schlaf-Überzug aus Seide dabei (Cocoon), wiegt nur ein paar Gramm mehr. Leider hat diese Kombi ihre Nachteile: Der Beeline ist so ultralight, daß er nicht mal einen Reißverschluß hat. (Sogar das Logo ist nur aufgedruckt.) :-) Aber das verhindert, daß man öffnen und lüften kann. Also schwitzt man sofort, wenn's wärmer als 15 grad ist. Und in dem Seiden-Cocoon frierst wie ein Blöder. Also statt superoptimal ist beides Mist.

* Jetzt sind 3 Pilger ins Restaurant nachgekommen. Wird Zeit daß ich aubreche, um meine Einsamkeit wiederzuhaben. Hab keine Zeit für Socializing grad.

* Hier ist man wieder durch Weinland unterwegs, und ich werd den Gedanken, nicht los, daß hier Wein immer mit Wohlstand (schöne, gepflegte neue Häuser, gepflegte, kultivierte Menschen) assoziiert werden kann. Ob es aber der Weinbau ist, der die Locals kultiviert macht, oder ob sich hier einfach kultiviertere Locals niederlassen und zum Zeitvertreib ein bißchen Wein anbauen (wie in Santa Croya), das weiß ich auch nicht.

* Eine Kritik der bayrischen Pilgerschwester über die Via de la Plata ist 100% berechtigt: Die schönen Kirchen und Einsiedeleien (ermitajes) sind fast alle ständig abgeschlossen. Das nervt nicht nur den Touristen im Pilger, sondern auch den, der sich gelegentlich mal auf ein Kirchenbankerl auf ein Gebet zurückziehen möchte. Hoffentlich wird sich das mal ändern.

* Laut Meilenstein nur noch 30 km bis Santiago!!!

* Das in der letzten Bar muß die echte Power-Cervezita des Apostels höchstpersönlich gewesen sein: seitdem gehe ich schnell und wie auf Schienen, wie gedopt. Bin echt "in the zone", Steine im Schuh stören nicht, Fotos werden nur die allerschönsten gemacht. So geht es durch kilometerlange duftende, sonnendurchflutete Kiefern- und Eukalyptuswälder, ein Traum! Obwohl es ordentlich heiß geworden ist, trocknet meine Wäsche am Rucksack noch immer nicht. :-(

* Hatte schon ganz vergessen, wie tief verwurzelt die hiesige Tradition ist, einen Gast in der Gastronomie mit dem A**** anzuschauen, bis ich zum Restaurant Rios nach Ponte Ulla kam. Hier ist der Chef noch reizender als im übrigen Spanien: Er verweigert sogar das Zurückgrüßen. DAS ist konsequent! Hut ab! Hoffe, daß die es hier gebacken kriegen, mir nur einen Teller Pasta mit Soße zu machen, ohne die üblichen Fleisch-Verbrechen (harte Steaks, flachsige Schnitzel, alles in Fett schwimmend, begleitet von fiesen, schlammigen, glitschigen Pommes). Wer mich kennt, weiß, daß ich kein Gourmet bin, aber was hier zum Teil aufgetisch wird, das gehört zur Beweissicherung nach Den Haag!

* Bin echt von den Socken: Nudeln waren ok, sogar geriebenen Käse gab's auf Nachfrage! Und Brot. Und Salz extra. Daß mir derartige Extratouren hier straflos durchgehen, hätte ich nicht erwartet. :-). Wieder ein glücklicher Pilger mehr, der morgen nach Santiago einchargieren wird. In dem Dorf Santiaguiño gibt's nämlich rein gar nix zu essen. Also lieber jetzt, 5 km davor, ordentlich carboloaden.

* Bin jetzt angekommen in dem kleinen Dörflein Santiaguiño, 17 km vorm Apostel. Herrlich hier. Eine der aller-allerschönsten Herbergen ever. Komplett neu, Granitbau mit viel Glas, viel Frischluft, alles extrem großzügig, davor ein nettes Eßbankerl, ein Fußbecken zur Abkühlung, ein Colaautomat - was will man mehr? (Kleingeld z.B!!?!) Die Schlafsäle sind schön groß, kühl und sauber. Hoffe, die 2 Valencianer nebenan gehören zu den wenigen Nichtschnarchern.

* Gehe ins Bett, habe eines gefunden außer Hörweite des Schnarch- äh Schlafsaales. Morgen großer Tag. Apostel erwartet mich um 12 zur Pilgermesse, volles Programm.

Chris

Sunday, August 20, 2006

Camino-Tagebuch: Einundzwanzigster Tag - 20.8.2006



Etappe Kloster Oseira - Laxe/Lalín (31 km)
* Es ist 07:30. Nur mühsam bewege ich mich aus dem quietschenden Stockbett der etwas knast-esken Pilger-Notunterkunft. Die Bayerndamen sind schon wie erwartet vor längerer Zeit in die Nacht abgedampft, leise, professionell, wortlos. Hatte auch einen etwas gesegneteren Schlaf als ich: Bis 4:00 morgen hat mich die dröhnende Musik von der Fiesta wachgehalten. Übrigens sehr gute Musik, die mich - das war das Fatale - zu einigen richtig coolen Liedideen angeregt hat. Auf die Weise war trotz romanischem Gemäuer und Ohrstöpsel nicht an Schlaf zu denken. Beinahe wär ich mitten in der Nacht nochmal rüber zum Fest gelatscht, um mir die Stimmung zu geben, die schon auf die Distanz so ansteckend wirkt.
* Der heilige Guermhar, ein deutscher Pilger aus Köln aus dem 13. Jhd., ist der Schutzpatron dieses Klosters, was vielleicht - neben der bayrischen Herkunft des Papstes - ein zusätzlicher Grund für meine herzliche Aufnahme hier ist. ;-)
* War also wieder mal zu Gast bei Padres, diesmal Zisterzienser. Haben seit der vorletzten Jahrtausendwende den entscheidenden Beitrag zur Wiederbesiedlung der von den Mauren befreiten Gebiete geleistet. Nebenbei haben sie den alten mozarabischen Kirchenritus durch den römischen ersetzt. Schade.
* Ich versteh diese ganze Frühaufsteherei hier nicht ganz. Das ist sinnvoll im heißen Andalusien und in der Extremadura (wegen der später einsetzenden Hitze), oder am Camino Francès (wegen des Wettlaufs um die Betten) aber ganz sicher nicht hier auf dieser Nebenroute im kalten, regnerischen Galicien. Very (!) different drummer.
* Geht wieder mal sehr, sehr steil aus dem Tal des Klosters hinauf in die Berge. Gut zum Munterwerden. Dafür strahlend blauer Himmel. Nach den letzten 4 verregneten Tagen ein Segen. Habe den Refrain eines Liedes aus "Rocky Horror Picture Show" im Kopf: "...cause I've seen the - blue - Sky! - through the tears in my eyes! - And I realize - I'm going home."
* Hatte das von letztemmal gar nicht so extrem deutlich in Erinnerung, daß die Häufung von komplett verfallenen Granithäusern so ein Markenzeichen des bitterarmen Galicien ist. Mehr als jedes 2. Haus in den Dörfern ist entweder dauerhaft mit Brettern zugenagelt oder bereits eingestürzt. Das sieht besonders beeindruckend aus, weil hier sogar der letzte Hühnerstall aus massivem Granit gebaut ist. Der scheint hier noch wesentlich billiger zu sein als Ziegel. Schließlich liegt er überall in Massen auf den Feldern herum.
* Die heutige Wiederholung meines damaligen spektakulären wissenschaftlichen Selbstversuches (siehe Eintrag zu Sta. Croya de Tera) belegt eindeutig die bisherigen Erhebungen: 3-4 h Schlaf in 1 Nacht sind zweifellos zu wenig, um danach entspannt über 30 km mit Rucksack über gebirgiges Terrain zu marschieren. Die Fachwelt ist seit den letzten Versuchen noch immer nicht aus dem Staunen über dieser Ergebnisse herausgekommen...
* Bin grad am Ortsausgang von Castro Dozòn und hab ein echtes Formtief. Mehrere Gründe fallen mir dafür ein: a) der ständige Gestank von Kuhmist um mich herum b) die Tatsache, daß keine der beiden Bars im Ort irgendetwas eßbares anbietet (bei allem Respekt für spanische Traditionen, aber ich will endlich ein ordentliches Wirtshaus haben!!!) Und c) meine deutliche Übernächtigung. Spooky: Jetzt ist grad ein höchstwahrscheinlich geistig verwirrter Bauer vorbeigekommen, der mich zwar nett angelabert hat, aber in der einen Hand eine recht große, scharfe Sichel hielt. Es war nicht ganz leicht, perfekt cool zu bleiben.
* Der Meilenstein zeigt 68 km bis Santiago an. Erfahrungsgemäß zieht sich aber das letzte Stück am meisten.
* Endlich, nach einigen Kilometern hinter der Ortschaft hab ich ein Restaurant gefunden, in dem man gnädigerweise bereit ist, mir auch etwas zum essen zu machen. Bis die endgültige Zusage fiel, hat mich die Chefin auch lange und intensiv mit dem A**** angeschaut, um sich ein Bild von mir zu machen. Offenbar bin ich doch ihrer Calamares würdig. Manchmal ist Spanien eine Quälerei, zB heute.
* die heutige Strecke hat durchaus ihre Längen, und zwar insbesondere zwischen Kilometer Null und Kilometer 30... - immerhin: Komme am ersten Meilenstein vorbei, der weniger als 60 km bis Santiago anzeigt!!
* endlich (!!!) Angekommen in Lalín. Ich schreib morgen weiter. Baba.

Chris

Camino-Tagebuch: Zwanzigster Tag - 19.8.2006



Etappe Ourense - Kloster Oseira (34 km)

* Wache auf zum vertrauten Getröpfel von fallendem Regen im Hof des Hotels. Das macht mich jetzt echt langsam fertig, das besch*****e Wetter hier. Kann einem den ganzen Spaß am Pilgern nehmen, wenn man bei 10 Grad und Dauerregen in der Früh losmarschieren darf, die Füße notdürftig verarztet vom letzten Dauerwassereinsatz. Unglaublich. Daß man in Galicien mit dem Regenschirm auf die Welt kommt, wußte ich schon. Aber wochenlanger Regen am Stück, jetzt wo es wochenlang so trocken war, daß das halbe Land abgebrannt ist und die Stauseen auf der Hälfte ihrer Füllmenge standen? - Jetzt wird mein Jakobsweg, hier im Zielland Galicien und etwas mehr als 100 km vor Santiago, doch noch zu einer echten Prüfung, und die macht gerade echt keinen Spaß.

* Jetzt erstmal zur Laune ein paar Churros con Chocolate einschmeißen, dann muß ich los.

* Wieder mal hat es sich ausgezahlt, Pilgersitzfleisch zu beweisen und nicht zu früh aufzubrechen. Erstmal hatte ich meinen Wecker zweimal schlummern geschickt (was im Schlafsaal eines Refugio eine asoziale Unsitte wäre), dann hab ich Churros gesucht, was nicht so einfach war, weil die versprochenen Churros im Hotelcafé doch nur in der Phantasie des Vorabendkellners existierten. Militärisch spricht man bei einem solchen Phänomen von "Übungs-Churros" oder "Churros-sym" (symbolisch). Zur Krönung hat mich der Frühschicht-Kellner dann auch noch charmant mit dem A**** angeschaut, darauf bin ich mit einem bayrisch gemurmelten Götz-von-Berlichingen-Zitat exfiltriert. In einer anderen Bar erhielt ich dann etwas, dass zwar Churros hieß, dem aber König Juan Carlos persönlich die Zugehörigkeit zur spanischen Krone absprechen würde, wenn er es probiert hätte. Wärend ich also am "Carboloading" war (romantischer kann man das Frühstück nicht bezeichnen), geschah etwas außerordentliches: Wie durch ein Wunder ist der Regen weg!! Auch mein kerniger Muskelkater in den Oberschenkeln (vom Rucksacklauf über die Berge nach A Gudiña) ist verschwunden. Und wer meine Oberschenkel kennt, der weiß, wieviel "Kater" da reinpaßt. ;-)

* Muß mich diesmal genauestens daran erinnern, in jeder Etappe einen Stempel in den Credencial machen zu lassen, sonst krieg ich keine Pilgerurkunde in Santiago. Das hat mir am C. Francès schonmal die Urkunde gekostet: 600 km gehatscht, und am Ende fehlten ein paar Stempel innerhalb der magischen 100-km-Zone um Santiago. Nix Compostela. Das soll mir nicht nochmal passieren. Will einen Ehrenplatz für die Urkunde im neuen Büro, mit Rahmen! Für das Erreichen von Finisterre gibt's nochmal eine Extra-Urkunde, hab ich bei einem Pilgerbruder gesehen. Sogar noch schöner und bunter. Interessanterweise ist ja der Marsch bis nach Santiago eine von der römisch-katholischen Kirche voll geförderte Veranstaltung. Aber alle im (offiziellen kirchlichen) Credencial eingezeichneten Wege enden auch punktgenau in Santiago, nicht einen offiziellen Hinweis gibt es auf die Strecke nach Finisterre. Und doch sind die Menschen immer schon dort hingepilgert, angeblich bereits in heidnischen Zeiten. Sind der Milchstraße gefolgt, weshalb der Camino auch als "Sternenweg" bezeichnet wird.

* Entscheide mich für die im Führer empfohlene Kombi aus zunächst östlicher, dann westlicher Wegalternative, auch wenn das 3 Extrakilometer bedeutet. Schon bescheuert, oder? Gestern noch quäle ich mich zentimeterweise auf kaputten Füßen an Ourense heran, jeden schmerzhaften Schritt verfluchend, und heute, kaum regnet's nimmer, kann ich es kaum erwarten, auf schönen Kombi-Strecken Extrameilen zu hatschen. Pilgerlogik, don't try to understand. :-) -Die schönere Landschaft ist mein Lohn.

* Soeben überqueren bayrische Fernaufklärungskommandos den Rio Miño mittels einer Römerbrücke & beginnen, die Vorstädte von Ourense von Regierungstruppen des Emirs zu säubern. Nachdem sie die Kontrolle über die Hügel um die Stadt erlangt haben, sickern sie unbemerkt in die Vorstadt Cudeiro ein und errichten bei der Ermità San Marcos vorübergehend einen Beobachtungsstand mit breitem Wirkungsbereich über die Stadt. Die Freistaatskriegsflagge weht bereits auf den Kirchtürmen der befreiten Stadtteile. Brezenschwenkende Kinder säumen die Straßen und werfen Blockmalz-Bonbons.

Die älteren Bewohner der Vorstädte singen die Urform der Hymne von 1860, die nur noch wenigen der durchmarschierenden bayrischen Befreiungstruppen bekannt ist:

"...Wo die Rauten-Banner wehen,
Unsre Farben – Weiß und Blau!"

Allen durchmarschierenden Recken gehen diese Zeilen unter die Haut, und auf manchem vernarbten Gesicht blitzt verstohlen eine Träne.

Der Himmel hat - dem feierlichen Anlaß angemessen - aufgeklart. Italienische Verbündete vom Standort Florenz haben sich dem Zug der bayrischen Befreier mit zwei koordiniert operierenden Kampfeinheiten angeschlossen (ausgerüstet mit scheinbar dienstlich gelieferten Armani-Sonnenbrillen), aber haben sich kurz nach Übersetzen des Miño ohne Meldung wieder abgesetzt. Irgendwoher hatten die Erfahreneren der bayrischen Kämpfer bereits so eine Vorahnung...;-)

* Und as we speak marschiere ich grade mit Spitzenlaune aus der (auf einmal) schönen Stadt Ourense hinaus, auf die Berge hinauf, Richtung Apostel, der wohl erneut seine heilige Hand im Spiel hatte und Mitleid mit seinem weitgewanderten Besucher hatte. Alles Leid ist wie weggefegt, sogar meine Fußsohlen sind wieder einsatzfähig - lacht mich ruhig aus, aber es kommt mir echt vor wie ein richtiges Wunder. Ein sehr schönes Geschenk! Wer weiß, was es heißt, tagelang bei Kälte und Regen mit kaputten Füßen durch die Botanik zu latschen, der wird das verstehen.

* Man merkt, daß man näher an den Camino Francès heranrückt: Plötzlich ist jeder 2. Stein mit einem gelben Pfeil versehen, der nach Santiago weist. Plötzlich sind sogar unbedeutende Häuserecken groß genug, daß man im Volltext "Via de la Plata" - und sogar "The Silver Way" (!!!) in gelb draufpinselt. (Das erinnert mich an damals, als wir für englische Gäste völlig schwachsinnigerweise den Ort Engelhartszell zum Spaß mit "Angel Heart's Cell" übersetzt haben) ;-)

* Unglaublich, wie sich die Streckenführung hier in Galicien von den bisherigen Wegen durch Andalusien, die Extremadura und durch Kastilien unterscheidet: Hier ist man permanent in irgendwelchen Mikro-Dörfern, niemals ist man mehr als 5 km unterwegs, ohne auf eine Siedlung zu stoßen. Man hat das Gefühl, daß sich die Käffer zum Teil überschneiden. Sie sind zT so klein, daß sie nicht einmal auf den Wegeskizzen des Sevillaner Führers aufscheinen. Hingegen hatscht man außerhalb von Galicien mitunter tagelang durch gott- und menschenverlassene Einöden.

* Sitze bei der Mittags-Cervezita in einer netten Bar mit schönem Garten im Ort Bòveda, der garantiert in keinem Pilgerführer aufscheint, weil er nur auf dem Verbindungsweg zwischen der östlichen und der westl. Route liegt. Pilger dürften sich also alle paar Schaltjahre hierher verirren. Mich stört's nicht. Der äußerst nette Wirt warnt mich, daß vor mir kilometerweise von Feuer verwüstetes Land liegt. Soll mich nicht schrecken, solang das Feuer aus ist.

* Schade, daß die kleine Bar völlig abseits des Weges hier keinen "Sello" (Pilgerstempel) hat, das hätte mich gefreut, das den Erbsenzählern im Pilgerbüro von Santiago unter die Nase zu halten, wenn sie ihre 100 km Marschleistungsprüfung anhand meines Credencial vornehmen. :-) Die hätten schön geschaut. Vielleicht schaff ich es, ein paar völlig überflüssige & schwachsinnige Stempel einzusammeln?! ;-)

* Das auf Tafeln ausgewiesene Kloster Bòveda (ein echter "Sight off the beaten track", 12. Jhd.!) hab ich versucht zu finden, aber das war mir doch zu weit ab vom Weg. Will ja nicht ganze Nachmittage mit Leermeilen vergeuden, jetzt wo ich so nahe am Apostel bin und den Botafumeiro (das berühmte, gigantisch große Weihrauchfaß) der Kathedrale schon förmlich riechen kann!

* Zum erstenmal an einem Meilenstein mit nur noch zweistelligen Kilometerzahlen bis Santiago vorbeigekommen!! Das pusht!!

* Hab grade begonnen, mein Projekt "Stempel-Meltdown" umzusetzen und mir einen Stempel aus einer Bar im schönen 1-Haus-Dorf Mandras (!) in den Credencial machen lassen. Wenn die "Compostela-Revisoren" vom Santiagoer Pilgerbüro diesen Stempel schonmal gesehen haben, geb ich denen einen aus.

* Bin grad im Refugio von Cea. Superschön hier. Nette Pilger aus Girona haben mir bei der Planung der weiteren Etappe geholfen. Sieht so aus, daß ich die 10 km bis Oseira weiterchargieren muß, um nicht morgen 41 km hatschen zu müssen. Aber erstmal wird hier im Ort verpflegt.

* Wenn die wieder nur die Tapas haben, die ich nimmer sehen kann, dann kauf ich mir Nudeln und koch sie hier selber. Wenn mich die Mönche in Oseira nicht übernachten lassen, gibt es noch einen Taxiservice: +34988282593 bzw. +34606709167 (Vinoteca "O Refugio", in Cotelas-Piñor, 2 km von Cea, mit Übernachtungsmöglichkeit). Nochwas hab ich aufgeklärt: 3 km hinter Outero soll es eine nagelneue Herberge geben, die noch in keinem Führer drinsteht. * Soeben, als ich hier in dieser hübschen Herberge meine berüchtigten Spaghetti al Chris zubereite, kommt hier halb Europa reingeschneit. Es ist echt wie in "L'Alberge Espagnole" (der Film hatte genausogut in einer span. Pilgerherberge spielen können): Das belgische Paar (die Buspilger) ist wieder da, ein weiteres Pulk Belgier ist eben einchargiert, und sogar unsere italienischen "Verbündeten", die uns im Talkessel von Ourense so schmählich im Stich gelassen haben, siend wieder da - wohl, um im adäquaten Rahmen die Details für den Triumphzug anläßlich der Befreiung Galiciens in bella Roma vorzubereiten. ;-) Als wären das nicht genug Stereotype auf einem Haufen, haben sich auch die Katalanen gefreut wie die Schnitzel, als ich ihnen großzügig die 2. Hälfte meiner 500-g-Packung Nudeln überlassen habe... (Sind ja die Schwaben Spaniens) - soll nicht heißen, daß die katalanische Familie hier nicht ultranett wäre! Auch meine beiden alten Freunde Javier & Javier haben mich wieder begrüßt, mit großem Hallo. Sie sind weitgehend fußtechnisch wiederhergestellt, so daß sie den restlichen Etappen zum Apostel zuversichtlich ins Auge sehen. Ich auch, für meinen Teil! Freue mich schon auf das einfache Matratzenlager im Kloster. Los geht's. Nur noch 10 km, dafür vollgemampft mit 250 g Pasta....

* Habs geschafft - bin wohlbehalten im Kloster Oseira angekommen. Meine 2 bayrischen Pilgerkolleginnen sind auch schon da. Sind ja auch schon im Morgengrauen losgezogen. Der Schlafsaal ist in einem Gebäude mit wunderschönem romanischem Gewölbe. Bin hier wesentlich herzlicher aufgenommen worden als ins anderen Klöster. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, daß der Papst aus meiner Gegend kommt. Das war mir noch nie so deutlich bewußt bis heute, als ich von den Mönchen gleich 2mal darauf angesprochen wurde. :-) War mit den Mönchen noch in der Vesper, weil ich finde, daß das dazugehört, wenn man ihre Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. 12 Acive hab ich gezählt. Beide bayrischen Pilgerschwestern legen sich schon um 21:00 ins Bett, um morgen noch früher aufstehen zu können. It's the beat of a very different drummer. Nebenan feiert das Dorf gerade Fiesta, und der Sound dröhnt ins unser dunkles romanisches Gewölbe. Wie ich erwartet habe, ist das Quartier ziemlich hart hier: Kein Licht, keine Klospülung, keine Dusche, nur 1 Waschbecken. Stockbetten gibt's immerhin. Hab mir gedacht, daß ich ja nicht auch gleich ins Bett gehen muß, wenn noch das letzte Abendlicht durch die romanischen Fensterbögen scheint. Bin dann auch gschmeidig losmarschiert, um mir die Fiesta genauer anzuschauen, die so eine Gaudi macht. Wieder was über Spanien gelernt: Die Fiesta hat nicht mal im Ansatz angefangen (22:00)! Die Band ist grad beim Soundcheck, und die Musi war nur Warm-up vom Band. Ein paar alte Nedln saßen beim span. Äquivalent des Schafkopfens, ansonsten keinerlei jeunesse d'orée locale zu sehen. Die kommen offenbar erst um Mitternacht, ken Witz. Aha. Also Ohropax an den Mann. Werd mich wieder zu den schon lange schlafenden Madames gesellen (kriegen die außer Hatschen noch andere Eindrücke vom Camino?) und bissi lesen.

Hasta mañana!

PS: Zwischenstatus von Project Stempel-Meltdown: Hab heut im Kloster meinen 3. Stempel für ein & denselben Tag gekriegt!! Die werden sich freuen in Santiago - falls der Platz für die ganzen Stempel bis dahin reicht... :-)

Chris

Friday, August 18, 2006

Camino-Tagebuch: Neunzehnter Tag - 18.8.2006


Etappe Xunqueira de Ambia - Ourense (23,4 km)

* Stehen heute spät auf, um 8, gehen um ca. 9 erst los, weil eine - aus unserer Sicht - Minietappe vor uns liegt. Ui, vergaß ich es zu erwähnen? Es regnet. Immer noch. Und es ist bös kalt. Na supi.

* Witziges Detail: Das Duschgel, das ich im Dörflein San Pedro gekauft hatte, war das einzige im Regal des einzigen örtlichen Ladens gewesen - und es hatte ein Preisschild in Peseten! Was sagt uns das über die Körperpflege der Einwohner von San Pedro seit der Euroumstellung im Jahr 2002? ;-)

* Losgegangen bin ich jetzt doch allein, wollte nicht auf den lustigen Javier warten, der gerade den Perfektionisten spielt und in der Weltgeschichte herumtelefoniert, um für sich und einige Freunde eine Herberge im Kloster Oseira zu organisieren. Dass er dabei nicht an mich gedacht hat (ich will unbedingt auch das Kloster sehen!), enttäuscht mich etwas. Auch, daß er schon seit Ewigkeiten nicht aus dem Quark kommt. Immerhin - die halbe Stunde, die ich der Warterei auf ihn verplempert hab, hatte einen entscheidenden Vorteil: Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen!! Wäre ich früher losgezogen, wäre ich mitten in den Platzregen marschiert und wäre jetzt schon tropfnaß! (Jakobswunder?) Ich bin nicht anfällig für Schadenfreude, aber alle anderen, die Bayerinnen und ein preußisches Paar sind bereits im Morgengrauen losgezogen und haben bis jetzt schon sicher ganze Feuchtbiotope in den Stiefeln. Ein belgisches Paar hat sich sehr lange den prasselnden Regen vom Eingang der Herberge aus angeschaut und dann entschieden, mit dem Bus nach Ourense zu fahren. Mit der (tatsächlich sehr legitimen) Begründung: "C'est pas un concours." - Ich pflichte ihnen bei, habe aber einfach viel mehr Ehrgeiz, was meine "Miles" angeht. Die werden sich jetzt genauso ärgern wie die deutschen. Ich schätze mal, daß der Regen in der Sekunde aufgehört hat, als sie sich im Bus auf ihren Platz gesetzt haben.

* Nachdem mir Juan zwischendurch wieder Hoffnung gemacht hatte, daß er ein Stück mitmarschieren kann, hat sich die Hoffnung soeben wieder zerschlagen. Dann bin ich eben bis zuletzt im Alleingang unterwegs, ja mei. Ein weiterer Freund hat mir gestern ebenfalls abgesagt, aus anderen Gründen.

* Gute Freunde sind das wichtigste im Leben. Das wird mir immer klarer. Hier das passende Dire Straits-Zitat: "What dou you got - at the end of the day? What do you got - to take away?..." (Aus dem schönen Lied "Private Investigations")

* Ich bin ca. 10 km vor Ourense. Ist vielleicht mein 2. Härtester Tag heut wg. Fußschmerzen. Immer noch Trench Foot, fühlt sich genauso an wie Sonnenbrand an den Fußsohlen. :-( - Regnen tut's auch immer wieder :-( jetzt heißt's hart bleiben & durchhalten! Hatsche schon seit drei Wochen durch. Irgendwann mußte der "Point Break" für die Füße kommen.

* Hab's endlich geschafft. War wirklich eine abtörnende Etappe heute. Wetter voll grauslig, endlose Industrieviertel, viel Bundesstraße, Fußschmerzen Ende-nie. Jetzt lieg ich endlich wohlverdient im Bett eines Hotelzimmers. Noch trau ich mich nicht, meine Füße auszupacken, die schweinisch weh tun. Hab Voltarencreme gekauft, hoffe, das Zeug haut rein. Werd mich wohl jetzt frischmachen, ein-zwei Stunden aufs Ohr hauen & dann schauen, ob ich in dieser riesigen Stadt ausnahmsweise etwas Unspanisches zu Essen kriege. Anything will do. Eine englisch- oder deutschsprachige Zeitung noch, eine Waschmaschine für meine Klamotten, und ich würde wieder auf der sprichwörtlichen Glücks-Supp'm schwimmen. Es ist schon eine unendliche Wohltat, gerade keine lauten, stinkenden, scnarchenden Pilger neben mir im Stockbett zu haben.

* Es sieht so aus, als würde Little Pilgrim's Extasy soeben Wirklichkeit: Ich hab nicht nur eine Reinigung gefunden, die meinen gesammelten Wäsche-Schamott bis heute abend auf Vordermann bringt, sondern auch eine Bar in der Nähe, wo die Bedienungen nett sind, und wo man Hamburguesas bekommt, zusammen mit einem frisch gezapften Estrella mit einer Temperatur, die in Brasilien als "supergelado" bezeichnet wird -» Eisflocken! :-) Sobald die Verpflegungsphase abgeschlossen wird, konzentriere ich mich auf die beiden Main Sights der Stadt, die Kathedrale und das Franziskanerkloster. Vielleicht erbeute ich unterwegs ja noch eine internationale Zeitung, dann ist der Tag vollsafe!

* Hab tatsächlich alles geschafft: Klamotten-Reinigung, Hamburger auf Vorrat gemampft, Financial Times gekauft (die einzige englischsprachige Zeitung in der ganzen Stadt!), Dom gesehen und beim Franziskanerkloster vorbeigeschaut. Dort die Bayerinnen getroffen, vertieft ins Kartenspiel. Und sogar die beidern Javieres getroffen, mit ihren Madrider Freunden. Wollte mich nicht aufdrängen und hab mich nach dem üblichen Hallo unauffällig empfohlen.

* Sogar Churros hab ich für morgen früh klargemacht - gibt's im Café im Hotel. Yesss!

* Morgen entweder 22 km oder 31 km, wenn ich's bis zum Kloster Oseira schaff. Mal sehen. Entgegen meinen bisherigen Klostererfahrungen sind dort angeblich Pilger nicht wahnsinnig willkommen. Schau ma mal.

Gute Nacht!

Chris