Via De La Plata 2006

Tagebuch meines Jakobsweges auf der "Via de la Plata", dem 1000 km langen Pilgerweg von Sevilla nach Santiago. Dieses Jahr stand die 2. Hälfte an, von Grimaldo/Plasencia nach Santiago de Compostela, und noch 130 km weiter nach Finisterre und Muxia, zum "Ende der Welt" am Atlantik.

Sunday, August 20, 2006

Camino-Tagebuch: Einundzwanzigster Tag - 20.8.2006



Etappe Kloster Oseira - Laxe/Lalín (31 km)
* Es ist 07:30. Nur mühsam bewege ich mich aus dem quietschenden Stockbett der etwas knast-esken Pilger-Notunterkunft. Die Bayerndamen sind schon wie erwartet vor längerer Zeit in die Nacht abgedampft, leise, professionell, wortlos. Hatte auch einen etwas gesegneteren Schlaf als ich: Bis 4:00 morgen hat mich die dröhnende Musik von der Fiesta wachgehalten. Übrigens sehr gute Musik, die mich - das war das Fatale - zu einigen richtig coolen Liedideen angeregt hat. Auf die Weise war trotz romanischem Gemäuer und Ohrstöpsel nicht an Schlaf zu denken. Beinahe wär ich mitten in der Nacht nochmal rüber zum Fest gelatscht, um mir die Stimmung zu geben, die schon auf die Distanz so ansteckend wirkt.
* Der heilige Guermhar, ein deutscher Pilger aus Köln aus dem 13. Jhd., ist der Schutzpatron dieses Klosters, was vielleicht - neben der bayrischen Herkunft des Papstes - ein zusätzlicher Grund für meine herzliche Aufnahme hier ist. ;-)
* War also wieder mal zu Gast bei Padres, diesmal Zisterzienser. Haben seit der vorletzten Jahrtausendwende den entscheidenden Beitrag zur Wiederbesiedlung der von den Mauren befreiten Gebiete geleistet. Nebenbei haben sie den alten mozarabischen Kirchenritus durch den römischen ersetzt. Schade.
* Ich versteh diese ganze Frühaufsteherei hier nicht ganz. Das ist sinnvoll im heißen Andalusien und in der Extremadura (wegen der später einsetzenden Hitze), oder am Camino Francès (wegen des Wettlaufs um die Betten) aber ganz sicher nicht hier auf dieser Nebenroute im kalten, regnerischen Galicien. Very (!) different drummer.
* Geht wieder mal sehr, sehr steil aus dem Tal des Klosters hinauf in die Berge. Gut zum Munterwerden. Dafür strahlend blauer Himmel. Nach den letzten 4 verregneten Tagen ein Segen. Habe den Refrain eines Liedes aus "Rocky Horror Picture Show" im Kopf: "...cause I've seen the - blue - Sky! - through the tears in my eyes! - And I realize - I'm going home."
* Hatte das von letztemmal gar nicht so extrem deutlich in Erinnerung, daß die Häufung von komplett verfallenen Granithäusern so ein Markenzeichen des bitterarmen Galicien ist. Mehr als jedes 2. Haus in den Dörfern ist entweder dauerhaft mit Brettern zugenagelt oder bereits eingestürzt. Das sieht besonders beeindruckend aus, weil hier sogar der letzte Hühnerstall aus massivem Granit gebaut ist. Der scheint hier noch wesentlich billiger zu sein als Ziegel. Schließlich liegt er überall in Massen auf den Feldern herum.
* Die heutige Wiederholung meines damaligen spektakulären wissenschaftlichen Selbstversuches (siehe Eintrag zu Sta. Croya de Tera) belegt eindeutig die bisherigen Erhebungen: 3-4 h Schlaf in 1 Nacht sind zweifellos zu wenig, um danach entspannt über 30 km mit Rucksack über gebirgiges Terrain zu marschieren. Die Fachwelt ist seit den letzten Versuchen noch immer nicht aus dem Staunen über dieser Ergebnisse herausgekommen...
* Bin grad am Ortsausgang von Castro Dozòn und hab ein echtes Formtief. Mehrere Gründe fallen mir dafür ein: a) der ständige Gestank von Kuhmist um mich herum b) die Tatsache, daß keine der beiden Bars im Ort irgendetwas eßbares anbietet (bei allem Respekt für spanische Traditionen, aber ich will endlich ein ordentliches Wirtshaus haben!!!) Und c) meine deutliche Übernächtigung. Spooky: Jetzt ist grad ein höchstwahrscheinlich geistig verwirrter Bauer vorbeigekommen, der mich zwar nett angelabert hat, aber in der einen Hand eine recht große, scharfe Sichel hielt. Es war nicht ganz leicht, perfekt cool zu bleiben.
* Der Meilenstein zeigt 68 km bis Santiago an. Erfahrungsgemäß zieht sich aber das letzte Stück am meisten.
* Endlich, nach einigen Kilometern hinter der Ortschaft hab ich ein Restaurant gefunden, in dem man gnädigerweise bereit ist, mir auch etwas zum essen zu machen. Bis die endgültige Zusage fiel, hat mich die Chefin auch lange und intensiv mit dem A**** angeschaut, um sich ein Bild von mir zu machen. Offenbar bin ich doch ihrer Calamares würdig. Manchmal ist Spanien eine Quälerei, zB heute.
* die heutige Strecke hat durchaus ihre Längen, und zwar insbesondere zwischen Kilometer Null und Kilometer 30... - immerhin: Komme am ersten Meilenstein vorbei, der weniger als 60 km bis Santiago anzeigt!!
* endlich (!!!) Angekommen in Lalín. Ich schreib morgen weiter. Baba.

Chris

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