Camino-Tagebuch: Zwölfter Tag - 11.8.2006


Etappe Tàbara - Santa Croya de Tera (24 km)
* Habe mich - ursprünglich - für die Sado-Variante bis nach Calzadilla de Tera (35,4 km) entschieden. Bin aber in der schönsten Herberge der Via de la Plata hängengeblieben, in Santa Croya de Tera. Bin heut also nur 24 km, und nicht 35 km gehatscht. Dazu später mehr.
* Heut um 7:15 losmarschiert. Ist ok, bin gestern erst gegen Mitternacht in die Falle, und geschlafen hab ich auch semi-optimal: obwohl sich Javier, die schnarchende Dampfwalze, Gentleman-like auf die Liege in der Küche verkrümelt hatte, um unsere Gehörgänge zu schonen, hat ein anderer der beiden Pilger, die mit mir im Schlafsaal waren, ein ordentliches Schnarchkonzert veranstaltet, gegen das meine Ohropax machtlos waren. Bin dann rüber zu ihm und hab ihn gebeten, sich auf seinen Astral-Resonanzkörperbauch zu drehen, das half dann. Bin danach doch noch munter wachgelegen. :-( Die Schnarcherei der Pilgerbrüder ist nach den Blasen am Fuß die größte Geisel des Pilgers.
* Derselbe Schnarchador hat sich bei mir nochmal eine Extraportion Sympathie gesichert, als ich ihm was von meinem Frühstück angeboten habe, und er meint: "danke, ich hab selber was...- ach was, gib her!" Nahms, ohne zu danken, mampfte in sich hinein. Ooooh, da steigt die Sympathiekurve!! Derselbe Sympathieträger hatte heut morgen nix besseres zu tun als sich beim Marschieren an meine Fersen zu heften, wie eine Zecke. Bei einem derartig freiheitsliebenden unabhängigen Einzelpilger wie mir kommt das nicht nur semi-, sondern geradezu suboptimal! Denn dann versuch ich instinktiv, die Klette abzuschütteln und geb Gas. Da werden keine Pausen gemacht, keine Steine aus den Schuhen mehr geschüttelt, keine zu warme Jacke ausgezogen, und gepinkelt erst recht nicht. Fotos machen, Landschaft bewundern: No, sir! Irgendwann wurde mir das Davonlaufen zu bunt, ich hab eine Pause gemacht, alle erwähnten Tätigkeiten genüßlich nachgeholt und den Sympathen jovial vorbeiziehen lassen. Jetzt hab i wieder mei' königlich-boarische Ruah!
* Der Caminoführer hat einen recht lustigen Fehler in einer Kapitelüberschrift, der offenbar schon 2 Auflagen überlebt hat: Aus den beiden Orten "Santa Marta de Tera" und "Santa Croya de Tera" kombinierte er ein "Santa Marta de Croya" - Gebe zu, die Namensgebung der sprichwörtlich gewordenen spanischen Dörfer ist schwer zu überblicken. Ist sicher wie für einen Spanier, wenn er liest: Aicha vorm Wald, Reit im Winkl, Sankt Wolfgang am Attersee, Grammatneusiedl, Untereinbuch, Waldetzenberg, Maria Ellend, Maria Taferl, Tittling, Oberpfaffenhofen oder (das englisch klingende) "Thurmansbang" im Bayerwald. Die Kombinationsmöglichkeiten dieser Ortsnamen sind sicher ebenfalls unerschöpflich. :-))) Am Ende hört sich sicher alles an wie "Dingsbumskirchen".
* Kennt jemand den Comedy-Reiseführer durch das fiktive Land "Molwanien"? So einen ähnlichen Reiseführer müßte man mal schreiben über eine erfundene Nebenroute zum Jakobsweg (zB. "El Camino de los Templarios"). Mir fallen schon herrliche Kommentare ein zu denkbaren Orten wie "Todos los Santos de la Esquina del Camino" oder "Calzadilla Fuenterrobledevaldelascasasconpoquitodepanyvino".
* Um zu illustrieren, daß auch das lange Gehen durchaus kurzweilig-heiter sein kann, folgende soeben passierte Anekdote:
Meine Silikon-Ferseneinlage rechts braucht Frischluft, wandert instinktiv Richtung Schuhöffnung. Ich halte an, um Einlage zu züchtigen und an ihren Platz zu schupfen. Steige aus dem Schuh, balancierend. Einlage fällt in den Dreck. Ich verliere Balance und steige ebenfalls mit Socken in Dreck. Möchte Silikonteil waschen und mach's naß. Nasses Teil fällt nochmal in den Dreck. Ich versuche, Schlamm abzuwischen und mache dabei Hände schlammig. Dabei schwirrt eine Fliege um meinen Kopf auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen in meinem Innenohr. Ich versuche, das Tier zu terminieren und schlage um mich, verpasse dabei meinem einzigen sauberen Hemd eine Fangopackung, so daß ich jetzt ausschau wie auf der Camel Trophy. Silikonteil flutscht jetzt noch besser, weil lubrifiziert von Wasser, Schlamm und Dreck. Im nächsten Ort schmeiß ich die 2 Silikon-Teile weg, oder ich spende sie an eine Schönheitsklinik, haha...
* Wurde jetzt 15 min lang dauerzugetextet von einem sehr netten und sehr intellektuellen Señor, der aus der Gegend ist (das muß er sein - wer so pausenlos labern kann, der ist von hier!). Der, ein Journalist, macht grad Heimaturlaub & spaziert mit 2 sehr gepflegten Damen durch die Weingärten. In einem Wasserfall aus Prosa erklärt er mir unaufgefordert die Geheimnisse der Gegend, pflückt mir jedes Kräutlein, das man entweder essen oder zu Parfüm verarbeiten kann und klärt mich über die örtliche Flora und Fauna der letzten Jahrmillionen auf. Sehr herzig. Und das beste: Sein Spanisch verstehe ich sogar ausgezeichnet. Obwohl er einen Zungenschlag wie ein Kolibri hat. Und er erzählt mir auch keinen Müll, welche Abkürzung ich nehmen muß, sondern kennt sich tatsächlich aus! Nach einiger Zeit verlassen mich die drei mit den besten Wünschen für den Weg. Sehr lieb. Der "Succus" der Prosa war für mich: Ja, es gibt auch Schlangen hier, fast alle ungefährlich, nur eine Vipernart ist giftig, aber extrem selten. Und es gibt recht große Skorpione, die unter den Steinen sitzen, gerade vor mir in den Bergen. Also kein Open-Air-Biwak hier :-)
* Sitze jetzt in der einzigen Bar in Bercianos de Valverde und mampfe Chips. Neben mir sitzt Mister Sympathie 2006. Ist zwar nicht z'wider, aber nimmt auch jetzt die angebotenen Chips mit einer Lässigkeit & Wortlosigkeit an, die ich nicht aufbringen könnte.
* Thema Fauna: In der lokalen Zeitung ist ein Bericht, daß ein Wolfsrudel in der Gegend einige Schafe gerissen hat. Alles klar, jetzt beginnen wirklich einsame (!) Etappen, mit Bruder Wolf in Kompaniestärke auf du & du sozusagen!
* Stelle erstaunt fest, daß ich meinen Rucksack-Hüftgurt gar nimmer enger stellen kann. Hab ich tatsächlich soviel abgenommen? Dann empfehle ich ab jetzt allen Übergewichtigen die spanische Cervezita-und-Chips-Diät, wenn gar nichts mehr hilft!!
* Ein Freund fragt mich, ob mich das Handyfonieren & Emailen auf dem besinnlichen Camino nicht stört - Ich sag ihm, ich hab eine Menge Spaß mit der ganzen Kommunikation per Email, SMS und Telefon über meinen Blackberry. Für mich überwiegen die Vorteile: ich konnte sogar einem Freund gut damit helfen, der zuhause dringend juristischen Rat gebraucht hat. Ich hab meine geamte Adressdatenbank dabei, schreibe meine Blogeinträge beim Gehen - so fühl ich mich nie einsam. Ich bin zwar auch aus spirituellen Gründen auf dem Camino, aber die meiste Zeit denke ich beim Gehen an rein gar nix (Also kann mich das Handy auch von nix ablenken.). Das ist für mich echte Erholung. Hat ja auch einen Ausknopf. Und von meiner Arbeit werd ich auch nicht belästigt, weil ich nur private Mails empfangen kann - und weil ich erst ab September wieder regulär arbeite ! :-)
Jeder pilgert halt am liebsten so wie er will. Manche legen sogar ihre Armbanduhr ab, um besinnlicher unterwegs zu sein. Manche reiten auf Eseln. Manche rennen als mittelalterliche Pilger verkleidet mit mords Rauschebart durch die Gegend! Each one listens to the beat of a different drummer.
* Jetzt bin ich in besagter supi Privat-Herberge in Santa Croya hängengeblieben. Ist ein sehr familiärer Betrieb, man fühlt sich sofort wie daheim. Die beiden Chefs, das Ehepaar Anita & Domingo, sind auf Eseltour, zusammen mit Pfarrer Don Blas (der geneigte Blogleser erinnert sich? - Habe sie aber nicht persönlich getroffen). Und den Laden schmeißen drei der vier Kinder, für die das Wort "entzückend" sicher angemessen ist: Anna, Gaspar und Conchita. Hab grad meine dampfenden Spaghetti. (!) Vor mir - meld mi später!
* Nudeln sind "entsorgt". Sitze jetzt an einem wunderschönen (wie oft verwende ich das Wort eigentlich noch?) Sandstrand an einer piscina natural, im Flüßchen Tera. Herrlich sauberes frisches Wasser, im Schatten eines Baumes fläzen, Microfischlein, die an den Zehen knabbern, Siesta pur. Wie oft hab ich mir schon am Camino gedacht "muß das schön sein, hier zu wohnen oder zumindest länger zu bleiben." - Gerade aber das Weiterziehen macht den Reiz des Pilgerns aus, das Wegziehen von schönen und von unschönen Orten. Nirgendwo bleibt man länger. Und so heilig das Recht des Pilgers auf eine Nacht unter einem schützenden Dach seit Jahrhunderten war und ist - ebenso heilig ist dem Hausherrn, den Pilger am nächsten Tag wieder an die frische Luft zu setzen. Auf dem Camino Francès mit seiner Bettenknappheit spürt man das sehr intensiv: Man darf - schon seit dem Mittelalter - nur dann länger als 1 Nacht im Refugio bleiben, wenn man nachweislich krank bzw. Fußkrank ist. Da schlägt die Gastfreundschaft recht schnell in Zurlastfallen um. Das ständige Weiterziehen zwingt eine zum Ausprobieren von Neuem, zum Kennenlernen neuer Leute, man findet eine neue Lieblingskneipe, eine neue Lieblingsspeise etc. Und der Pilger sammelt - aneinandergereiht wie an einer Perlenkette - schöne Erinnerungen an die schönen Abende und die herrlichen Wandertage, die hinter einem liegen.
* Am boarisch-spanischen Akzent beim "Hooola"-Sagen habe ich gerade eine Gruppe Landsleute identifiziert. 2 Rosenheimer und 2 Salzburger Radlpilger. Witzig, mitten in Spanien wird jetzt gemeinsam mit denen knackiges Bayrisch gepflegt. Hab ich das vermißt! Jetzt trinken wir den hier hausgemachten Rotwein und bald gibts Abendessen bei den Kindern der Hausherrn.
* So, jetzt ham mich die Gastgeber doch noch überreden können, ordentlich spanische Party zu machen - in einem Nachbardorf ist eine Fiesta, und ein weiterer Pilger & ich werden hinkutschiert. Hier geht's ganz ordentlich ab. Mit scheint's, daß hier sämtliche Discos und sämtliche jungen Menschen versammelt sind, die in allen anderen Dörfern entlang der Via fehlen. Alles ganz bombig, aber das mit dem Nachhausekommen haben unsere spanischen Gastgeber entweder anders oder gar nicht verstanden. Sie würden gern, wie ortsüblich, gegen 08:00 früh heimfahren. Bis dahin (es ist jetzt immerhin schon 05:00!) Kann ich ihnen sinngemäß den Schuh aufblasen. Ich hab einen deutsch-Spanier kennengelernt, der mich evtl. Mit nachhause nehmen kann, in 15 min. Hoffentlich, sonst geh ich jetzt querfeldein nach Santa Croya.
Over & out!
Chris
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