Via De La Plata 2006

Tagebuch meines Jakobsweges auf der "Via de la Plata", dem 1000 km langen Pilgerweg von Sevilla nach Santiago. Dieses Jahr stand die 2. Hälfte an, von Grimaldo/Plasencia nach Santiago de Compostela, und noch 130 km weiter nach Finisterre und Muxia, zum "Ende der Welt" am Atlantik.

Thursday, August 10, 2006

Camino-Tagebuch: Zehnter Tag - 9.8.2006



Etappe Zamora - Riego del Camino (34,2 km)

* Bin mit Manel unterwegs, dem Katalanen. Ist auch ein Lone Pilgrim wie ich, deshalb gingen wir auch am Abend in Zamora großteils getrennte Wege, obwohl wir ein Jugendherbergs-Zimmer teilten. Freaks respektieren den Wunsch nach Einsamkeit des anderen Pilgers. Man gewöhnt sich wirklich schnell daran, fast den ganzen Tag allein zu sein. Und trotzdem nicht einsam. Manel hat ein knackiges Tempo, das gefällt mir. Das zieht mit. Er hat angekündigt, dass er nach Riegos (was ja nicht gerade der nächste weg ist) weitergehen will nach Granja de la Moreruela, dh insgesamt 40 km. Alle Achtung! Ich find das ok, dass er nach dieser einen gemeinsamen Etappe allein weiterzieht. Einzelpilger sind es nicht gewohnt, Kompromisse wegen anderen zu machen, weil das ihre herrlich grenzenlose Freiheit einschränkt.
* Ich kriege jetzt dauerhaft meine kostenlosen Spanischstunden, dadurch daß ich mich mit Manel unterhalte. Meine Spanischkenntnisse blühen richtig auf! Lerne auch ein paar südspanische Kraftausdrücke ("todo tieso" heißt sehr frei soviel wie immer gradeaus).
* Wenn mich Nichtpilger fragen "warum machst Du das?" - meistens begleitet von einem " ich überlegs mir auch schon seit langem", dann möchte ich am liebsten fragen: "Warum machst Du das NICHT?!" - ich kenne wirklich keinen einzigen Jakobspilger weltweit, der seinen Camino bereut hätte.
* Sitzen in Bar Restaurante Rosamari in Montamarta. Ist ein weiterer Pilger hier, Jesùs aus Jerez! Will in der hiesigen Herberge als freiwilliger Hospitalero arbeiten. Die Herberge scheint extrem super und nagelneu zu sein. Wir essen grad die besten belegten Bocadillos von ganz Spanien! Der beste Schinken (mit Knofel!!), die besten Tortillas mit Kartoffeln, die beste Schinken-Käs-Ei-What-ever-it's-called-combinaciòn der Welt! Supigeil. Hätt nie gedacht, dass mir Tapas so schmecken können. Wirtin ist superlieb und zapft uns ausnahmsweise das Bier (10:00 früh!) - in große Gemäße reinzapft. Das frühe Frischgezapfte ist eine Tradition Kataloniens mit Namen Almuerca! Hab den Spezialausdruck dafür gelernt: "cerveza grande en un jarra (!), por favor!" :-) Sonst kriegt man so kleine "Erfrischungsstäbchen" (Pipetten) mit 0,2 l.
* Beim Weg aus der Bar zum Camino wurden Manel & ich von einem maschinengewehrartig schnell sprechenden Autofahrer regelrecht mir Information über die kommende Etappe zugespammt. Unglaublich! Nach einiger Zeit versagte mein Prozessor, und ich schaltete ab im Vertrauen darauf, daß Manel aufpaßt, welche wichtigen Infos er für uns hat. Er sagte auch immer brav "Si" und "Ahh, claro!". Als wir uns entfernt hatten, bat ich ihn um eine Zusammenfassung in verständlichem Tempo. Er meinte: "No he entiedido nada! Demasiado mucho de información!" :-)) Er hatte genausowenig geschnallt wie ich!! Hab mich vor Lachen kaum mehr eingekriegt... :-))))
* Weiß jetzt nicht ob's außer mir noch jemand witzig findet: Manel erzählte, dass in Spanien auch diese TV-Show läuft mit dem verrückten Australier, der permanent mit Krokodilen kämpft und mit Schlangen herumspielt. Er sagt, dass die Serie in Spanien mit spanischer Synchronübersetzung gezeigt wird. Ich sage, daß dann der Aussie-Akzent des verrückten Wildhüters wahrscheinlich in feinstem Andalusisch nachempfunden wird :-) (jedes "s" lispeln und jedes Wort abschneiden)... - hört sich echt geil an! :-)
* Sitze grad in Mauerbogen der alten Festung Castrotorafe. Würde sooo gern mehr über die Geschichte der Burg wissen. Jedenfalls war dies eine Zentrale der Jakobsritter, die die Pilger beschützt haben und Spanien gegen die Mauren verteidigt haben. Das Burgareal ist endlos groß. Unter mir das herrliche Tal des Duero-Stausees, das wir weitgehend durchschritten haben. Es ist eine Gegend wie in Schottland, sanfte Hügel, grüne Wiesen, Burgruinen, klare Flüsse (zumindest stelle ich Gringo mir Schottland so vor...)
* Ich pilgere jetzt wieder allein weiter, der Barceloniner Manel hat sich allein auf die Socken gemacht, weil er eine noch längere Etappe vor sich hat. Jetzt nur noch 4 km bis Riego del Camino - juchu! Die Etappe ist echt im Flug vergangen, weil ich erstmals einen Compañero dabei hatte, mit dem ich ziemlich viel auf Spanisch herumgeblödelt habe.
* Es ist 16:00, Siesta-Time, und ich bin in Riego del Camino angekommen. Schlüssel zur Herberge gibts bei der supernetten Bürgermeisterin, die die Gelegenheit nützte, um mich hemmunglos mit spanischer Prosa zuzutexten. Sehr lieb, wirklich, hat mir in der hier ortsüblichen MG-Geschwindigkeit erklärt, wie ich mir 7-8 km spare, indem ich nicht nach Granja de Moreruela gehe, sondern vorher nach Tàbara abbiege, und dabei bei der schönen Ruine des Klosters Moreruela (1131) vorbeikomme. Wenn's also morgen nur ca. 25 km sind, dann kann ich auch um 08:00 lostigern, um das Kloster bei Tageslicht zu sehen. Jetzt bin ich fix & fertig: die Hatscherei in der Hitze über die Ebenen, und jetzt die rituelle endlos-Textaciòn durch die liebe Bürgermeisterin, das war bissi viel auf einmal. Werde mich landesüblich erstmal zur gschmeidigen Siesta verkrümeln. Hasta luego!
* War gemütlich lesen im Hof hinterm Haus. Jetzt sitz ich - zur Abwechslung - wieder mal in einer Bar und trink eine abendliche Cervezita. Im Hintergrund sitzen örtliche Señores, die sich gesellig-jovial beim Kartenspielen anbrüllen.
* In die Herberge ist jetzt doch noch ein anderer Pilger gekommen: Javier aus Madrid, voll der witzige Sprücheklopfer, der laut eigener Aussage schnarcht "como un animal". Er bietet mir an, in einem separaten Zimmer zu schlafen, was ich dankbar annehme.
* Morgen steht eine interessante Etappe auf dem Programm, mit der Ruine des ältesten Zisterzienserkloster Spaniens.
* Waren grad essen in der einzigen Bar am Platz, Bar Pepe, es gab ein knochehartes Steak (Tenera) mit einem faden Salat & nassen Pommes. Mir kann echt keiner unterstellen, daß ich ausschließlich wegen der herausragenden Küche nach Spanien gekommen wäre :-)
* Überraschung: Jetzt sind noch 5 weitere Pilger mit dem Radl gekommen, Spanier aus Avila. Sehr lustige Leut. Haben jetzt a ziemliche Gaudi in der Herberge. Javier labert gleich erstmal alle ordentlich voll, ein Traum von Mister Social.
* Geh um 22:00 in die Koje, lese bis 23:00 den nicht unspannenden Da Vinci Code weiter. An einigen Stellen steht ziemlicher historischer Müll drin, aber das ist mittlerweile allseits bekannt (Opus Dei Mönch im braunen Habit, die angebliche zentrale Verantwortung des Papstes bei der Vernichtung der Templer, angeblich 5 Millionen im Mittelalter als Hexen ermordete Menschen etc.)

Chris

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