Via De La Plata 2006

Tagebuch meines Jakobsweges auf der "Via de la Plata", dem 1000 km langen Pilgerweg von Sevilla nach Santiago. Dieses Jahr stand die 2. Hälfte an, von Grimaldo/Plasencia nach Santiago de Compostela, und noch 130 km weiter nach Finisterre und Muxia, zum "Ende der Welt" am Atlantik.

Thursday, August 03, 2006

Camino-Tagebuch: Vierter Tag - 3.8.2006

Etappe Calzada de Béjar - Fuenterroble de Salvatierra (21 km)

* Es fällt mir schwer, etwas neues, kreatives zu sagen: Bin wieder unterwegs durch bildschöne Landschaften. Walk on, walk ooooon - and you neeeever walk alone!!

* Bin unterwegs nach (gib dir genüßlich den Namen) Fuenterroble de Salvatierra! Hatsche brav, ist no gar net heiß, schöner frischer Wind pfeift über die Ebene. Ist eine Lust zu Leben, eine Lust zu gehen!

* Seit 7:20 heute früh auf den Beinen. .Wieder zu spät eingeschlafen wegen den Mücken. Ist der Vorteil in einem Luxuspilgereinzelzimmer, dass man nach Herzenslust nachts um sich schlagen kann. Heut abend isses vorbei mit der Luxuspilgerherrlichkeit, heut bin ich zu Gast bei Don Blas, einer Prominenz der via de la plata (vergleichbar der geschätzten Doña Feliza aus Logroño) , ein Dorfpfarrer, der sich für seine Pilger aufopfert. Macht Abendessen für sie, leistet ihnen Gesellschaft, trinkt ein Weinchen mit, und er hat sein gesamtes Dorf auf Pilger heiß gemacht: Mit vereinten Kräften haben sie eine urschöne Herberge gebaut, als es auf der Via fast noch gar keine Refugios gab. Außerdem haben sie unter seiner Regie ein riesiges Jakobskreuz am Camino aufgestellt, an dem i auch noch vorbeikommen werd. Es gibt einige wenige solche Celebrities des Weges, die jeder Pilger kennt, kennen muß. --Im südlichen teil der Via de la Plata gibt es einen Gedenkstein für Josë Luis Salvador Salvador, der Pionier und Wiederentdecker der Via, der an dieser Stelle beim Markieren des Weges verstorben ist. In Santo Somingo de la Calzada (am Camino Frances) hat zB im Mittelalter der besagte Heilige eine Brücke für die Pilger gebaut. Und San Juan de Ortega (Camino Francess) ist auch ein Ort, der nach einem besoders pilgrfreundlichen Heiligen benannt ist. Ob Doña Feliza auch einmal Santa Feliza del Camino (oder de las Figas?) heißen wird?

* Herrlich knappe Begrüßung der Locals: "hola -qué?" - entspricht wohl dem in Bayern beliebten "Oida- was geht?" Ich bilde mir auch ein, manche begrüßen mich mit "Adios". Entweder heißt das, ich soll mich möglichst bald wieder schleichen :-) oder es handelt sich um eine - dem bayrischen "Servus" vergleichbare dual-use Formel für Begrüßund oder Verabschiedung. Die Südspanier sind mir als Bayern nicht umsonst sympathisch.

* Muss aufpassen, dass es mich auf diesem Trampelpfad nicht steckt, beim ständigen Blackberryschreiben :-) Das Tippen lenkt übrigens herrlich vom Gehen ab. Echter Tipp gegen Langeweile.

* Gear-Report: Mein Navigationsmaterial ist wirklich erstklassig : Habe Michael Kasper's grandiosen Via-Führer aus dem Stein-Verlag (um Kaspers Bücher beneiden uns viele nicht deutschsprechende Pilger!), und die farbkopierten Wegskizzen aus dem dickeren Ringbuch-Führer der Sevillaner Jakobsbruderschaft. Darin habe ich alle Aktualisierungen eingetragen, derer ich habhaft werden konnte, und auch vereinzelte Hinweise aus anderen Pilgerberichten. Dazu hab ich noch zur Übersicht für Anreise und für off-the-beaten-track sights Kopien einer Spanienkarte dabei, wo ich den Wegverlauf markiert hab. Bin also mehr als safe. Übrigens: Der Raimund Joos, der Kasper's Via-Führer nach Kaspers tragischem Tod (Santiago bitte für ihn) aktualisiert hat, ist eine Email-Bekanntschaft von mir. Ich hab ihm damals den Führer für seine erste Via de la Plata empfohlen. Witzig, wie das Leben spielt. Mamnchmal greift man durch kleine Handlungen ziemlich entscheidend in das Leben anderer ein. ZB. Als ich damals bei PwC meinen Praktikanten-Nachfolger ausgesucht habe, hat der später einen festen Job dort bekommen - als die Beratungsbranche kaum Leute eingestellt hat. Und zwei liebe Freunde habe ich in meine frühere Firma "geholt". Jetzt sind sie immer noch dort und sehr zufrieden. Raimunds hervorragende Camino-Seite ist übrigens www.via-de-la-plata-de. Mit den schönsten Fotos von meiner letzten Via.

* Gear-Report: So richtig schmerzfrei bin ich auch im linken chirurgisch gelifteten Salomon Trailschuh nicht. Wenn ich bis Salamanca durchhalte, belohn ich mich mit neuen Trailschuhen. Werd Dani bitten, dass sie mir einen amtlichen Dealer raussucht. Adresse ist so ähnlich wie www.salomon-outdoor.com.

* Frage mich, warum hier so viele Wohnhäuser leerstehen, und was aus denen wird. Denke mir, daß es schön wäre, hier ein Häuserl zu haben - andererseits: ich würde hier keinen Tag stillstehen können, wenn ich den ersten Pilger vorüberziehen seh - schon wär mein Rucksack gepackt, und ein weiteres schickes spanisches Häuserl würd leerstehen. Hey, ist DAS der Grund für die vielen leerstehenden Häuser???!!!!

* Wieder eine Gemeinsamkeit mit Bayern: es gibt auch hier schmerzlich-grauenhafte "Lüftlmalerei" an einigen Häusern. Nur zeigen diese hier grauenhaft-kitschige spanische Meseta-Motive (uaaaarrghh... Sowas macht Augenkrebs...)

* Hey, die sprechen hier alle genauso mundfaul wie mein andalusischer Freund & Pilgerbruder Juan: "buana dia!" Im bayrischen Wald pflegt man ein ähnliches Idiom. - Sind das hier alles Nachkommen der bayrischen Entsatzheere auf ihrem Zug zur Befreiung der Extremadura von den Arabern?! Sehr waldlerisch mutet mir auch die hiesige Biertrinkerei an - in völliger Verachtung der berühmten spanischen Weine wird hier landauf, landab das überall gleich schmeckende span. Bier gesoffen. Als Hobby-Ethnologe (ich weiß sogar, wo "Wanne-Eickel" und "Pirna" liegen!) verdichtet sich mein Verdacht immer mehr: Mir ist auch noch nie ein bayr. Waldler begegnet, der sich feierlich ein gutes Glas Chateauneuf reinzelebrieren würde. Die Südspanier sind genetische Waldler!! Wer schonmal einen Span. Folkloresänger jauchzen gehört hat (unser Passauer Spanischlehrer Ramirez nannte das - Zitat - "Gschroa"!!), dem klingt das wie Jodeln in den Ohren. Jedem, der sich jetzt akustisch ein Bild machen möchte, empfehle ich die "Geschichte von Fernando Cerzardez de Cerzardez" von Badesalz. :-)))) classico! Sogar Juan habe ich damals damit zum Lachen gebracht.

* Das einsame pilgern hinterläßt seelische Verödung: Erwische mich, wie ich oft längere Zeit über einen alten Schmäh lache, der mir im Hirn pickt. Gottseidank beobachtet mich keiner. In Salamanca muß ich mir dringend starke Depressiva verschreiben lassen, sonst lach ich bald nur noch!! :-)

* Wurde gerade im berühmten (?) Dorf Valdelacasa (der Name ist Programm) von einem sehr lieben Señor mit Begeisterung zugetextet, daß dies hier der original Röimerweg sei, bitteschön die original (!) Via de la Plata (offenbar zeigte ich beim Drüberweghatschen nicht die nötige Andacht?) ;-) Den Rest der freundlichen Ausführungen entzog sich meinem Verständnis - ich entwickle erst langsam das Feeling für die Tiefe der lokalen bavaro-hispaniolischen Mundart.

* Heut ist ein Tag wie zum Pilgern geschaffen: der Wind streicht herrlich frisch über die katilische Hochebene, der Himmel wolkenlos azurblau, alles wie an einem herrlichen sonnigen Tag im Herbst, nurohne goldene Blätter. Was füe ein unbeschreiblicher unterschied zu den bisherigen Etappen durch die Backofen-Lowlands der Extremadura. Hier läßt sich's wandern. Mal schauen, vielleicht riskier ich heut - nach der Cervezita bei Don Blas - eine Doppeletappe? Ich muß nur schauen, daß ich im Schnitt 20 km/Tag hatsche, damit ich sicher zu Fuß in 30 Tagen bis Finisterre komme. Was für ein Klang: in 30 Tagen bis ans Ende der Welt! Ultreia!!

* Bei diesem herrlichen Wetter bei diesen gemäßigten Temperaturen kann man's wohl bringen, auch am Nachmittag zu gehen, ohne damit mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Camino-Märtyrer zu werden. Mal schauen. Will nicht, dass das nächste Kaff nach mir benannt wird :-)

* Ist schon eine verschworene Gemeinschaft, die Pilger der Via de la Plata. Sie jammern nie über lange Etappen oder über einfache Herbergen oder über Einsamkeit - sie hatschen einfach. Sie können Spanisch. Und sie unterhalten sich oft amüsiert oder leicht abschätzig über die Gringos vom Camino Francès, dem überlaufenen Volkswandertag. Während man dort auf der Etappe gelegentlich bis zu 100 Pilgern pro Tag begegnet, sieht man hier keinen einzigen Fußpilger. Ein paar verwegene Radler, das wars.

* Speicher voll. Schreib in extra Datei weiter!



* ich wurde oft von Freunden gefragt, warum ich mir diese Hatscherei antue, was ich denn "aufzuarbeiten" habe. -- Ich bin mit mir perfekt im Reinen, ich habe nichts in mir zu entdecken, ich kenne und akzeptiere mich voll. Ich will mich nicht ändern und mich für nichts bestrafen, sondern - im Gegenteil - belohnen! Ich denke da immer an H. D. Thoreau (um 1850), meinen geliebten amerikanischen Philosophen und Aussteiger. Als er im Sterben lag, fragte ihn der Pfarrer, ob er seinen Frieden mit Gott gemacht habe. Seine Antwort: "God and I never quarreled".

* Ok, die Herberge in Fuenterroble habe ich persönlich ein bissl als Enttäuschung erlebt, nach all der Vorfreude: Sie ist gesteckt voll mit "Pilgern", die angeblich "in einer Woche von Sevilla hierher" gegangen sind (dazu brauch ich 4-5 Wochen, also war da ein Bus als Backup dabei!). Und laut einem aus der Gruppe sind sie heute "von Montemayor bis hierher" gehatscht. Yeah right, bei 5 Stunden Tageslicht einen Marathon hatschen, mit Rucksack, das will ich sehen. --- Mittlerweile hab ich die Erklärung: Die reiten auf Eseln! Sind mit einer Karawane von 40 Eseln hier unterwegs. Die haben sie um die Ecke geparkt. Ist natürlich sehr traditionell und hochlegitim. Im Credencial steht genau drin, dass der Pilger entweder a) geht oder b) radelt oder c) reitet (das ist dort vorgesehen zum Ankreuzen). Und ob das Reittier ein Esel oder ein feuriger Araberhengst ist, ist dem Apostel wohl herzlich wurscht. :-)

* Ist eben nicht nur eine Pilgerherberge hier, sondern ein sehr aktives Pfarrgemeindewohnheim. Und wir wenigen echten Fuß-Pilger (drei Damen aus Belgien und ich) sind hier etwas semi-angesagt. Anders als ichs mir gedacht hatte. überall sonst ist man herzlich aufgenommen. Ein gemeinsames Abendessen im Pilgerkreis ist nicht vorgesehen. Jeder ißt, was er hat. Eine "Audienz" bei Don Blas zu kriegen wird nicht leicht bei dem Getümmel in den Schlafsälen. ---- Mittlerweile hab ich ihn getroffen, mit seinen Kumpels beim Essen, sehr jovial, spricht flottes Spanisch, das ich nur schwer verstehe, reißt offenbar gelungene Schmähs. Alle lachen.

* Ist wirklich sehr lieb gemacht die Herberge. Ein bissl hat sie leider den ökumenischen Friedensbewegungs-Touch, mit Tau-Kreuzen, Friedenswünschen und so. Ich versuche nicht zu sehr rumzumotzen, schließlich wird man als Pilger im Übermaß beschenkt und sollte dankbar sein.

* Dafür ist die einzige Bar im Ort richtig hardcore: die "Wirtin" vertreibt mich vom einzigen Platz ohne biblische Fliegenplage (direkt zwischen Fenseher und Ventilator), weil das IHR Platz ist, auf dem sie höchstpersönlich zu speisen pflegt. DAS ist wahre Härte, wennst mich fragst. Erinnert an selige Ostblockzeiten.

* Die grauenhafte Wirtin fragt mich allen Ernstes, ob ich zufrieden bin - nach ihrem einzigartigen Stunt (übrigens: "ihr" Platz ist immer noch frei, nachdem sie mich vertrieben hat!)! Was erwartet die - eine ehrliche Antwort? Fragen impotente Männer danach auch "wie war ich"?!? :-)

* Es gibt eine Sache, auf die echte Pilger allergisch reagieren: Touri-Pilger. Meine belgischen Mitpilgerinnen meinten schon: "Sind wir hier auf dem Camino Francès?!"

* Neue Theorie: Vielleicht WIRKEN viele spanische Häuser auch nur verlassen, weil permanent die Läden heruntergelassen sind. Das bedeutet, dass es sich um einen besonders frommen Haushalt handelt, der das spanische Primär-Gebot (ora et labora - & Siesta!) sehr ernst nimmt.

* So, jetzt ist mir echt der Kragen geplatzt mit den lustigen Eseltreibern: Labern sich im Schlafraum in Discolautstärke voll, lassen das bimmelnde Handy liegen und tummeln sich draußen rum, etc. Sogar mit Ohropax keine Siesta möglich. Bin - frech wie Oscar - aus dem Schlafsaal exfiltriert & hab mich in den 1. Stock verkrümelt. Meine Aufklärung hat ergeben, dass der gesamte Schlafsaal im 1. Stock so gut wie frei ist. Aha. Na schönen Dank, dass ihr uns 4 Fußpilger in die Massentierhaltung zu den lustigen Eseltreibern einquartiert habt, die nicht mal die heilige spanische Siesta ehren. Aber nicht mit mir... Hoffe es merkt keiner!

So, das ist erstmal mein Report für heute. Viel wird nimmer passieren - hoff ich. Morgen 28 km, also gut ausschlafen.

Chris
 

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