Camino-Tagebuch: Neunter Tag - 8.8.2006
Etappe El Cubo de la Tierra del Vino - Zamora (33 km)
* Wieder mal eine nicht unknackige Etappe vor mir, ohne Alternative, ohne Zwischenübernachtung - das ist die Via de la Plata. Man muss dorthin hatschen, wo der Zufall eine Herberge hingestellt hat. Und dort, wo niemand eine hinstellt, mußt entweder unter freiem Himmel nächtigen (Càparra) oder durchhatschen.
* So, jetzt issts kurz vor 6:00 früh, i muss raus aus die Federn - 33 km liegen vor mir
* Es ist völlig dunkel, 06:30. Sterne stehen am Himmel. Ich bin unterwegs. Ich geh aus den Ort raus in die Nacht, auf einer Schotterpiste, wie im Traum. Die geben Pfeile finde ich gut mit meiner Kopflampe. Ultreia!
* Mission Control gibt durch, dass für Sevilla heute ein Inferno von 38 Grad erwartet wird. Frage mich, wie heiß es in Zamora werden soll? Kann mir nicht vorstellen, daß es viel mehr als 30 grad sein werden - ich hatsche hier in den Morgenstunden - as we speak - mit Fleecejacke rum. Wie gesagt, das Klima hier in der kastilischen Hochebene scheint wirklich ein ganz anderes zu sein als das der Extremadura und erst recht als das Andalusiens! Dort würde es dem Pilger gerade das Hirn rausfrittieren!
Soll nicht heißen, daß es hier nicht auch ab Mittag herum richtig ordentlich aufheizt. Aber der Wind weht hier irgendwie frischer als in den tieferen Lagen.
* Dafür, dass diese wunderschöne Gegend hier "El Tierra del Vino" sein soll, habe ich erst ziemlich spät - nämlich erst soeben - die ersten Weinstöcke gesehen.
* Die Gegend hier ist so schön, daß ich sie kaum mit Worten beschreiben kann: "Rolling Hills", Hügel, die wie eine leichte Dünung an den Strand gleiten, das alles in herrlichem goldenem Morgenlicht! Paradiesisch! Wenn ich meine Kamera nicht hätte, ich würde wohl gar nimmer weitergehen wollen, weil ich von dem Anblick nicht genug kriegen könnte.
* Gear-Report: Hab heut früh beim Befüllen meines Platypus-Wassersacks mit einer Flasche festgestellt, daß das Gerät gar nicht 2, sondern 3 Liter faßt, ich also (inklusive den alten Salomonschuhen) geschätzte 13,5 kilo am Rücken mit mir herumschleppe. Das ist natürlich nicht mehr "Sub-Ultralight" im strikt biblischen Sinne. Wenn ich heute auf der Post meine alten Schuhe nach Santiago schicke, dann muss ich ein bissl extra "dead weight" (Fleece-Pullover, 4. Garnitur Klamotten etc. mitschicken). Witzig: dann sauf ich also hier im Laufe eines längeren Marschtages ganze drei Liter Wasser weg! Ist sicher nicht zuwenig. Mir macht das Risiko von Dehydrierung & Wasserknappheit während der einsamen Tagesetappen mehr Angst als mich die Schlepperei von 3 kg Wasser ärgert. Zu groß ist das Risiko, dass die auf der Karte eingezeichneten Brunnen ausgetrocknet sind oder die örtlichen Bars - falls vorhanden - grad ihre halbtägliche Siesta haben. Hab selten funktionierende Brunnen gesehen.
* Interessantes Detail: Ein Herr Avaya war im Mittelalter einer der berühmtesten Professoren der nach 1200 gegründeten Universität Salamanca. Nach ihm sind dort Plätze benannt, und eine sehr schöne Seitenkapelle der alten Kathedrale ist die Grablege seines Geschlechts. Beim Ausmarsch aus Salamanca hab ich ein Consultorio (Kanzlei?) Eines Herrn Avaya gesehen, scheinbar sind die hunderte Jahre später immer noch sehr arrivierte Herrschaften in Salamanca. Da kann man schon ungefähr so stolz drauf sein, als würde man als Greifswalder "Rubenow" heißen und direkt vom Gründer der Uni (1456) abstammen :-) - Auf der anderen Seite, aus Pilgersicht gesehen: Muß man da stolz drauf sein, wenn man seinen hochwohlgeborenen Hintern seit ca. 500 Jahren nicht aus derselben Stadt hinausbewegt hat? :-)
* Heute in Zamora einmarschiert, was für eine schöne alte Stadt. Kleiner als Salamanca, aber nicht weniger alt & gepflegt. Quartier gefunden in der Jugendherberge (die angekündigte Pilgerherberge ist immer noch eine Ruine), zusammen mit Pilgerbruder Maniel aus Barcelona. Den hab ich am Camino in einer Bar schon kurz getroffen. Und obwohl er 1-2 min früher als ich in der Herberge war, hab ich ihn auf dem Weg nicht mich überholen gesehen. Spooky. Ist ein netter Kerl, Verwaltungsangesteller in einer Kunsthochschule. Waren heut gemeinsam essen und ich konnte dabei mein Spanisch herrlich aufpolieren.
* Am Postamt gewesen und freudig meine alten Schuhe nebst Fleecepullover auf die Reise nach Santiago geschickt! 1,5 kg damit gespart! Yessir!
* Morgen wieder eine knackige Etappe vor mir: 34,2 km, aber das schockt mich kaum mehr. Die Füß tun auch kaum mehr weh am Abend. Blasen hab ich auch immer noch keine gesehen. DAS sind echte Jakobswunder, ich krieg normalerweise schon Blasen, aber seit ich meine Bundeswehr-Luftlandestiefel nicht mehr trage, ist es vorbei. Ich glaube, Stiefel zu tragen ist einer der größten Fehler am Camino. Das sollte ich in den einschlägigen Internet-Pilgerforen publik machen. Der zweigrößte Fehler ist, zuviel Gewicht mitzunehmen. Es trifft jeden: den Frischling, aber auch Camino-Aficionados wie. - z.B. - mich.
* Angemessene Zeit für "Sodom und Zamora" hatte ich leider nicht: Es gibt sehr viel zu sehen, und ich kann nicht schon wieder einen wertvollen Hatsch-Tag opfern, sonst schaff ich meine Mileage bis zum Ende des Urlaubs nicht. Hab nur ein bissi in der Stadt rumgeschnuppert. Habe die wenige Zeit genutzt, um mit dem Taxi zur etwas außerhalb gelegenen Kirche Santo Sepulchro zu fahren, die laut einem aktuellen Zeitungsartikel in der örtlichen Zeitung La Opiniòn mit den Templern assoziiert wird, also eines meiner Liebelingsthemen right there! Kirche war leider zu trotz Presse-Publicity. Aber ich konnte außen an der Wand verschiedene geheimnisvolle Symbole im Stein ausmachen, und in der Wandmalerei einen sog. "Beaucant", die Kriegsfahne der Tempelritter. Schade, die Kirche werd ich wohl nie innen sehen. Morgen ist sie kurz offen, auf einer Beerdigung um 11, aber da bin ich wohl schon 20 km entfernt :-( wäre auch semi-nett, auf einer Beerdigung im Pilgeroutfit zu erscheinen und die ganze Zeit wie gebannt das Kircheninnere anzuglotzen, und vielleicht gelegentlich ein "Aha!", "sieh einer an" Oder "Wer sagt's denn!?" Fallen zu lassen...
* Hab grad brav meine "aussebachanen" Pulpos a la Romana gegessen, dazu zwei Cervezitas, and I'm ready 2 go to bed. Hab leider keine Einlegesohlen für meine Schuhe auftreiben können, also wird morgen nochmal eine "via dolorosa". Aber das Gehen insgesamt fordert mich lang nicht mehr so wie in der 1. Woche. Heut hab ich für 33km nur 7 h gebraucht, also Topspeed. Terrain war herrlich zum gehen, schöner kühler Wind, tutto perfecto. Schon als ich an einem Morgen in Salamanca nicht losgepilgert bin, sondern nach gemütlich-spätem Levée in die Stadt Bummeln ging, da hat mir das Gehen sehr deutlich gefehlt. DAS ist der Grund, warum Pilger seit Jahrhunderten weiter nach Finisterre pilgern, wenn sie einmal in Santiago angekommen sind. Der Auftrag ist ihnen abhanden gekommen.
* Glaube, dass beim Pilgern eigentlich nur die 1. Woche schlimm ist. Danach ist der Körper dran gewöhnt, er braucht das richtig. In der 1. Woche kriegst: Blasen, Scheuerstellen, Muskel- und Sehnenschmerzen, Sonnenbrand etc etc. Wenn das ausgestanden ist und Du immer noch gradaus laufen kannst, dann bist am besten Weg zum Apostelgrab! Immer weiter, "ultreia"!
Chris
* Wieder mal eine nicht unknackige Etappe vor mir, ohne Alternative, ohne Zwischenübernachtung - das ist die Via de la Plata. Man muss dorthin hatschen, wo der Zufall eine Herberge hingestellt hat. Und dort, wo niemand eine hinstellt, mußt entweder unter freiem Himmel nächtigen (Càparra) oder durchhatschen.
* So, jetzt issts kurz vor 6:00 früh, i muss raus aus die Federn - 33 km liegen vor mir
* Es ist völlig dunkel, 06:30. Sterne stehen am Himmel. Ich bin unterwegs. Ich geh aus den Ort raus in die Nacht, auf einer Schotterpiste, wie im Traum. Die geben Pfeile finde ich gut mit meiner Kopflampe. Ultreia!
* Mission Control gibt durch, dass für Sevilla heute ein Inferno von 38 Grad erwartet wird. Frage mich, wie heiß es in Zamora werden soll? Kann mir nicht vorstellen, daß es viel mehr als 30 grad sein werden - ich hatsche hier in den Morgenstunden - as we speak - mit Fleecejacke rum. Wie gesagt, das Klima hier in der kastilischen Hochebene scheint wirklich ein ganz anderes zu sein als das der Extremadura und erst recht als das Andalusiens! Dort würde es dem Pilger gerade das Hirn rausfrittieren!
Soll nicht heißen, daß es hier nicht auch ab Mittag herum richtig ordentlich aufheizt. Aber der Wind weht hier irgendwie frischer als in den tieferen Lagen.
* Dafür, dass diese wunderschöne Gegend hier "El Tierra del Vino" sein soll, habe ich erst ziemlich spät - nämlich erst soeben - die ersten Weinstöcke gesehen.
* Die Gegend hier ist so schön, daß ich sie kaum mit Worten beschreiben kann: "Rolling Hills", Hügel, die wie eine leichte Dünung an den Strand gleiten, das alles in herrlichem goldenem Morgenlicht! Paradiesisch! Wenn ich meine Kamera nicht hätte, ich würde wohl gar nimmer weitergehen wollen, weil ich von dem Anblick nicht genug kriegen könnte.
* Gear-Report: Hab heut früh beim Befüllen meines Platypus-Wassersacks mit einer Flasche festgestellt, daß das Gerät gar nicht 2, sondern 3 Liter faßt, ich also (inklusive den alten Salomonschuhen) geschätzte 13,5 kilo am Rücken mit mir herumschleppe. Das ist natürlich nicht mehr "Sub-Ultralight" im strikt biblischen Sinne. Wenn ich heute auf der Post meine alten Schuhe nach Santiago schicke, dann muss ich ein bissl extra "dead weight" (Fleece-Pullover, 4. Garnitur Klamotten etc. mitschicken). Witzig: dann sauf ich also hier im Laufe eines längeren Marschtages ganze drei Liter Wasser weg! Ist sicher nicht zuwenig. Mir macht das Risiko von Dehydrierung & Wasserknappheit während der einsamen Tagesetappen mehr Angst als mich die Schlepperei von 3 kg Wasser ärgert. Zu groß ist das Risiko, dass die auf der Karte eingezeichneten Brunnen ausgetrocknet sind oder die örtlichen Bars - falls vorhanden - grad ihre halbtägliche Siesta haben. Hab selten funktionierende Brunnen gesehen.
* Interessantes Detail: Ein Herr Avaya war im Mittelalter einer der berühmtesten Professoren der nach 1200 gegründeten Universität Salamanca. Nach ihm sind dort Plätze benannt, und eine sehr schöne Seitenkapelle der alten Kathedrale ist die Grablege seines Geschlechts. Beim Ausmarsch aus Salamanca hab ich ein Consultorio (Kanzlei?) Eines Herrn Avaya gesehen, scheinbar sind die hunderte Jahre später immer noch sehr arrivierte Herrschaften in Salamanca. Da kann man schon ungefähr so stolz drauf sein, als würde man als Greifswalder "Rubenow" heißen und direkt vom Gründer der Uni (1456) abstammen :-) - Auf der anderen Seite, aus Pilgersicht gesehen: Muß man da stolz drauf sein, wenn man seinen hochwohlgeborenen Hintern seit ca. 500 Jahren nicht aus derselben Stadt hinausbewegt hat? :-)
* Heute in Zamora einmarschiert, was für eine schöne alte Stadt. Kleiner als Salamanca, aber nicht weniger alt & gepflegt. Quartier gefunden in der Jugendherberge (die angekündigte Pilgerherberge ist immer noch eine Ruine), zusammen mit Pilgerbruder Maniel aus Barcelona. Den hab ich am Camino in einer Bar schon kurz getroffen. Und obwohl er 1-2 min früher als ich in der Herberge war, hab ich ihn auf dem Weg nicht mich überholen gesehen. Spooky. Ist ein netter Kerl, Verwaltungsangesteller in einer Kunsthochschule. Waren heut gemeinsam essen und ich konnte dabei mein Spanisch herrlich aufpolieren.
* Am Postamt gewesen und freudig meine alten Schuhe nebst Fleecepullover auf die Reise nach Santiago geschickt! 1,5 kg damit gespart! Yessir!
* Morgen wieder eine knackige Etappe vor mir: 34,2 km, aber das schockt mich kaum mehr. Die Füß tun auch kaum mehr weh am Abend. Blasen hab ich auch immer noch keine gesehen. DAS sind echte Jakobswunder, ich krieg normalerweise schon Blasen, aber seit ich meine Bundeswehr-Luftlandestiefel nicht mehr trage, ist es vorbei. Ich glaube, Stiefel zu tragen ist einer der größten Fehler am Camino. Das sollte ich in den einschlägigen Internet-Pilgerforen publik machen. Der zweigrößte Fehler ist, zuviel Gewicht mitzunehmen. Es trifft jeden: den Frischling, aber auch Camino-Aficionados wie. - z.B. - mich.
* Angemessene Zeit für "Sodom und Zamora" hatte ich leider nicht: Es gibt sehr viel zu sehen, und ich kann nicht schon wieder einen wertvollen Hatsch-Tag opfern, sonst schaff ich meine Mileage bis zum Ende des Urlaubs nicht. Hab nur ein bissi in der Stadt rumgeschnuppert. Habe die wenige Zeit genutzt, um mit dem Taxi zur etwas außerhalb gelegenen Kirche Santo Sepulchro zu fahren, die laut einem aktuellen Zeitungsartikel in der örtlichen Zeitung La Opiniòn mit den Templern assoziiert wird, also eines meiner Liebelingsthemen right there! Kirche war leider zu trotz Presse-Publicity. Aber ich konnte außen an der Wand verschiedene geheimnisvolle Symbole im Stein ausmachen, und in der Wandmalerei einen sog. "Beaucant", die Kriegsfahne der Tempelritter. Schade, die Kirche werd ich wohl nie innen sehen. Morgen ist sie kurz offen, auf einer Beerdigung um 11, aber da bin ich wohl schon 20 km entfernt :-( wäre auch semi-nett, auf einer Beerdigung im Pilgeroutfit zu erscheinen und die ganze Zeit wie gebannt das Kircheninnere anzuglotzen, und vielleicht gelegentlich ein "Aha!", "sieh einer an" Oder "Wer sagt's denn!?" Fallen zu lassen...
* Hab grad brav meine "aussebachanen" Pulpos a la Romana gegessen, dazu zwei Cervezitas, and I'm ready 2 go to bed. Hab leider keine Einlegesohlen für meine Schuhe auftreiben können, also wird morgen nochmal eine "via dolorosa". Aber das Gehen insgesamt fordert mich lang nicht mehr so wie in der 1. Woche. Heut hab ich für 33km nur 7 h gebraucht, also Topspeed. Terrain war herrlich zum gehen, schöner kühler Wind, tutto perfecto. Schon als ich an einem Morgen in Salamanca nicht losgepilgert bin, sondern nach gemütlich-spätem Levée in die Stadt Bummeln ging, da hat mir das Gehen sehr deutlich gefehlt. DAS ist der Grund, warum Pilger seit Jahrhunderten weiter nach Finisterre pilgern, wenn sie einmal in Santiago angekommen sind. Der Auftrag ist ihnen abhanden gekommen.
* Glaube, dass beim Pilgern eigentlich nur die 1. Woche schlimm ist. Danach ist der Körper dran gewöhnt, er braucht das richtig. In der 1. Woche kriegst: Blasen, Scheuerstellen, Muskel- und Sehnenschmerzen, Sonnenbrand etc etc. Wenn das ausgestanden ist und Du immer noch gradaus laufen kannst, dann bist am besten Weg zum Apostelgrab! Immer weiter, "ultreia"!
Chris
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