Camino-Tagebuch: Elfter Tag - 10.8.2006
Etappe riego del Camino - Tàbara (34 km)
* Soeben Eilmeldung von Netzeitung.de: "Scotland Yard hat Pläne von Terroristen aufgedeckt, die Flugzeuge auf dem Weg von Großbritannien in die USA sprengen wollten." Man fühlt sich manchmal in die finsterste Zeit der mittelalterlichen Glaubenskriege versetzt, als der schiitische Geheimbund der Assassinen die damals bekannte (christliche und moslemische) Welt terrorisierte. Sogar mitten in Bayern haben die Selbstmordattentäter zugeschlagen und König Ludwig, genannt den Kelheimer, vor den Augen seiner Leibwache erdolcht, um sich danach ohne Gegenwehr von dieser Leibwache niedermachen zu lassen. Sounds familiar? Das war um das Jahr 1100!! Ca. 200 Jahre später haben die Mongolen en passant deren Festung Alamut gestürmt und dem Spuk ein Ende bereitet.
* So, jetzt isses soweit: Hab meine erste Ampolla (Blase) gelaufen. Hab es ihr gestern gleich chirurgisch gegeben, mit meinem High-Profile chirurgischen Nadel-und-Faden-Set. Seitdem ich damals Dani's Blase versorgt hab und sie eine kernige Entzündung davongetragen hat, bin ich extrem vorsichtig mit meiner OP-Sterilität. Einmal unsauber gearbeitet, und der Camino ist vorbei!
* Ich bin heut um 8:00 losgezogen, ich fauler Pilger, damit ich das Kloster bei Tageslicht sehen kann. Schnapsidee, denn bis ich fort bin, wäre es in jedem Fall schon hell gewesen.
* Habe trotz Frühstückspause den lustigen Javier eingeholt, der sich wegen Schmerzen etwas langsamer durch die Gegend bewegt. Haben den Urschmäh. Haben beide die gleiche Beobachtung mit den Locals gestern gemacht: Alle extrem hilfreich, aber alle reden soviel, daß man echt nimmer aufpassen kann. Noch dazu wiederholen sie zB Wegbeschreibungen so oft, daß man am Ende glaubt, man würde sich auf eine Expedition zu den geheimen Quellen des Rio Esla begeben.
* Es ist nicht zu glauben, aber Javier ist auch technisch noch mehr State of the Art als ich: Er hat nicht nur einen Palm-PDA dabei, sondern hat auch GPS-Navigation am Start. Da muß ich passen.
* Jetzt reichts mir aber: Javier ist auch noch online und bringt seine Tagesberichte ebenfalls online auf einem Blog raus: www.javier-echeverria.es :-) Respekt!
* Bayrisches Expeditionskorps hat in Einzeltruppstärke den Rio Esla überschritten und beginnt, den nun westlich verlaufenden Camino Mozarabe zu sichern.
Bislang kein Widerstand seitens der Regierungstruppen des Emirs von Cordoba.
* Für die Beschreibung der Landschaft gehen mir die Worte aus. Ich glaube, "atemberaubend" hab ich bisher noch nicht verwendet.
* Muss mich erst daran gewöhnen, daß die Kompaßnadel nach Santiago nicht mehr wie bisher strikt nach Norden zeigt, sondern ab jetzt nach Westen bzw. Nordwesten. Ich befinde mich nun nur mehr auf einem Sekundär-Jakobsweg, der nach meinen Infos noch einsamer ist, noch wilder, noch schlechter markiert... Portugal ist schon bald südlich (!) Von mir. Dieses Teilstück wird auch als Camino Sanabrès bezeichnet, wohl weil es bei Puebla de Sanabria vorbeiführt. Die wichtigste Stadt bis Santiago ist aber Ourense. Freu mich schon! Am meisten freu ich mich auf das Weitermarschieren nach Finisterre!
Ab jetzt müssen auch die Wadln an der linken (!) Seite gut sonnencremegeölt werden, wie das der Pilger vom Camino Francès her kennt. Bin nun offiziell nicht mehr auf der Via de la Plata unterwegs (die würde gradaus nach Norden weitergehen und bei Astorga auf den Camino Francés münden, wo derzeit wohl Hochsaison ist und als Amtssprache Deutsch vorherrscht :-) Javier & ich haben ordentlich Witze gerissen über die umständlichen Wegbeschreibungen der Locals und deren wilde Markierungen mit gelben Pfeilen: "Wenn wir genau der Beschreibung der Eingeborenen folgen, dann sind wir in Kürze Richtung Astorga unterwegs - und du fragst dich, warum überall Souvenirläden sind, und warum auf einmal alle deutsch reden, warum auf einmal in den Bars ein 'Escalope de Peregrino' zum 'Menu Turistico' zum essen gibt..." ;-)
* Soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß ich mich heut morgen richtig fett aufgeregt habe, daß uns die vielgepriesene Wegbeschreibung der Locals direttissima am Kloster Moreruela VORBEI geführt hat!! All die Vorfreude umsonst. Wieder mal ein Fall, wo das Vertrauen auf die wortreichen Empfehlungen der Locals direkt ins Off geführt hat. Mir bleibt nur noch, den Wikipedia-Eintrag über Moreruela zu lesen, den mir Mission Control freundlicherweise gemailt hat. Denke mir dabei: "DAS wäre ihr Preis gewesen".... :-(
* Meine Blase macht keinerlei Zicken (bin stolz auf meine offenbar sterile OP!), sie schlummert unter ein paar Schichten Leucopor
* Gear-Report!! Leucopor - Dieses luftdurchlässige Klebeband wurde schon von vielen Pilgern als Wunderpflaster gepriesen, und das ist es auch. Es sollte "Peregrinopor" oder "Santiagopor" heißen. An dieser Stelle ein Dankeschön an die Firma Baiersdorf - "You rock, folks! Nach euch sollte eine Straße in Santiago benannt werden!"
* Gear-Report! Meine Empfehlung, falls jemand Kartenmaterial zur Via sucht: Kauf Dir für die Via de la Plata am besten eine topographische Karte von Portugal (!) (Da sollte alles drauf sein), mit guter Auflösung, oder such nach span. Militärkarten. Die haben die echten Freaks hier. Karten mitzuschleppen ist aber m. E. Nicht sinnvoll, ausschnittsweise Farbkopien reichen voll. Ich hab kopierte Wegeskizzen aus dem Sevillaner Pilgerführer dabei & bin sehr zufrieden.
* Morgen wird die Wahl schwer: entweder ich geh morgen und übermorgen jeweils weichflötenhaft kurze Etappen jeweils oder ich geb mir eine kombinierte Sado-Distanz an einem Tag. Como dice el Emperador (wie der 'Kaiser' Beckenbauer sagt): "Schau ma mal, dann wer ma scho segn!" :-)
* Gerade in Faramontana de Tàbara angkommen. Sitze wieder in einer Bar bei Bocadillo de Tortilla francèsa (wie kreativ!), Doritos-Chips (mal was anderes) und bei einer Cervezita (sowas gibt's hier auch?) ;-) Sind laut Führer noch 8 km zu gehen bis Tàbara, allerdings durch die grobe Nachmittagshitze. Schönen Schrank auch.
* Hier scheinen die Locals einen Pilger in ihrer örtlichen Bar nicht ganz so aggressiv zu ignorieren wie sonst üblich: Ein netter Opi spricht mit mir in Mitschreibegeschwindigkeit (das tut gut), scherzt mit mir und einem kleinen chico rum (der hat sogar ein Camino-T-Shirt an!), und ein paar andere nette Opis fragen mich soga, wo ich herkomme. Komisch: Normalerweise lege ich im Ausland größten Wert darauf, gerade NICHT als "Farang" aufzufallen. Hier allerdings, wenn man als weithin auffälliger "bunter Hund" eine Bar voll Locals betritt, befremdet es enorm, wenn alle durch einen hindurchschauen. Sehr merkwürdig. Das Sprachproblem mag seinen Teil zur Isolation beitragen, meine bewährten saalfüllenden Schmähs zünden möglicherweise auf Spanisch nicht zu 100%.
* Javier ist jetzt zu mir aufgeschlossen und stellt sich erstmal ein paar Radlerhalbe in die Figur. Haben wieder eine Gaudi. Ist ein prima Pilgerkumpel. Reißen wieder die bekannten Witze über die phantasiereichen Wegbeschreibungen der Einheimischen - zum Lachen hab ich noch Kraft, gottseidank.
* Hey, was geht denn jetzt ab (span.:"vaz daz den?")?! - Auf einmal gibts hier -horrible dictu- Wolken! Seit 10 Tagen Azurhimmel die ersten Wolken! Ein leichter Schleier liegt zwischen mir und dem Himmel.
* Bis zu meinem nächsten Eintrag sind die Wolken schon wieder weg - die Sonne scheint wieder in Strömen. Ächz! Es geht weiter durch herrliche Steineichenwälder durch die brütende Hitze.
* Bin soeben in Tàbara angekommen: schönes Städtchen, sogar ein Zirkus gastiert grad im Ort, die Leute ausgesucht freundlich. Bin mittlerweile etwas vorsichtig, wenn mir Locals ungefragt (!) Den Weg erklären wollen. Am faszinierendsten hier im Ort: Ein richtig altes Kloster mit Ursprüngen in der Wesgotenzeit!! Wird heut alles ausgecheckt. Siesta entfällt ersatzlos. (Das werd ich in Santiago beichten müssen) :-)
* Habe verzweifelt versucht, eine simple Portion Pasta aufzutreiben - in der 2. Bar gibts wenigstens einen grauenhaft-kalten Nudelsalat. Dafür mit Ketchup. Die spanische Küche ist für mich "way up there - together with the British one!" :-)))
* In der uralten Kirche des ehemaligen Klosters gibt es ein schönes Museum mit einer studierten Kunstwissenschaftlerin, die mir alles im Detail erklärt.: Die Phase der Westgoten in Spanien, aus der einige Monumente in der Kirche entdeckt wurden (7. Jhd.!!), die Phase der Mozaraber, also der Christen im arabisch besetzten Spanien (bis 1000), und dann die romanische Phase, die mit der Wiederbesiedlung des zurückeroberten Landes (Reconquista) begann, und die maßgeblich von den Zisterziensern geprägt war, ab dem Jahr 1000. Aus all diesen Phasen gibt es noch Spuren hier in Tàbara. Die arabische Besetzung dauerte ganze 800 Jahre. Im 10. Jahrhundert hat der Mönch Beatus von Tàbara hier einen Kommentar zur Apokalypse verfaßt, die farbenprächtigen Malereien sind in der Kirche zu sehen. Es gibt in einigen Städten sogar noch Kirchen, in denen die Messe nach dem mozarabischen Ritus gefeiert wird! Z.B. In Zamora oder Salamanca. Würde was dafür geben, das zu erleben. Dieser Ritus ist beeinflußt vom alten westgotischen Ritus (die Westgoten hatten den arianischen Glauben), der zum letzten mal um 1100 in Spanien zelebriert wurde, von moslemischen und von jüdischen Einflüssen. Da gibt es viele Prozessionen und auch so etwas wie eine Ikonostase. Spannend sowas. In den nicht arabisch besetzten Gebieten (dies hat sich eigentlich auf das bergige Königreich Asturien beschränkt) gab es eine eigene, vor-romanische Kultur. Habe nach der Geschichte der Templer in der Gegend gefragt, und - wie durch eine Fügung - heut abend ist ein Vortrag zu dem Thema im Ort. Offen für alle, and here I go!
* Habe mich gottseidank in der Bar des Zauberwortes erinnert und eine "Jarra" de cerveza bestellt, sonst kriegt man ja nur die bekannten ortsüblichen Pipettchen. :-)
* Obwohl Javier heute die meiste Zeit mit mir gepilgert ist, sind wir die letzte Etappe getrennt marschiert: Er wollte kurz ausruhen und ich wollte weiter. Ist nie ein Problem unter Pilgern. Mein geliebter Thoreau sagt dazu: "If a man does not keep pace with his companions, maybe he is listening to the beat of a different drummer. Let him step to the music which he hears, however measured or far away." - Großartige Einstellung, die man hier am Camino hautnah praktizieren lernt.
* Sitze gerade im Vortrag eines Professors zur örtlichen Geschichte der Templer. Kann nicht behaupten, daß ich mehr als 20% verstehen würde von der abgelesenen wissenschaftlichen Sprache.
* Merke immer stärker, daß der Jakobsweg seit über 1000 Jahren einen unwahrscheinlichen Einfluss auf diese Gegend und auf Spanien hat. Klöster wurden entlang des Weges gebaut, Pilgerherbergen, Ordensritterburgen, um die Pilger zu schützen, etc. Viele Orte tragen in ihrem Namen eine stolze Referenz an den Jakobsweg (Riegos del Camino, Calzada de Béjar etc). Über den Jakobsweg kam der gotische Baustil nach Spanien, die Via de la Plata wurde benützt von den Römern, von Hannibals Heeren, von den arabischen Eroberern, und von unzähligen namenlosen Pilgern, von denen jeder 2. bis jeder 3. die Strapazen nicht überlebt hat. War etwas verwundert, als ich vor dem Pico de la Dueña Erinnerungskreuze an kürzlich verstorbene Pilger sah. Wenn man für jeden seit dem Jahr 900 am Weg gestorbenen Pilger ein Kreuz aufstellen würde, wäre der Camino wohl voll davon.
* Habe jetzt genug vom Wissenschaftsspanisch und verkrümel mich Richtung Herberge. Dort bissi lesen, die Füße in eine herrliche große open-air-Wäschewaschanlage halten und den Tag ausklingen lassen. Morgen wieder über 30 km. Ultreia.
* Klassischer Fehler, den man nur einmal macht: Begeistert habe ich mich zum Wäschewaschen zu dem großen Frischwasser-Wasch-Trog begeben, der an seinen Seiten herrliche Beton-Waschrumpeln hat. Das Wasser ist sogar trinkbar.
Was ich nicht wußte: die Seitenränder dieser mittelalterlichartigen Waschanlage sind voller Algen. Mein weißes T-Shirt schaut jetzt aus wie nach einer intensiven Fangopackung. :-( Hab den Müll auch nicht mehr rausgekriegt. Werde das Hemd wohl auf den einsamsten Etappen tragen müssen.
Chris
* Soeben Eilmeldung von Netzeitung.de: "Scotland Yard hat Pläne von Terroristen aufgedeckt, die Flugzeuge auf dem Weg von Großbritannien in die USA sprengen wollten." Man fühlt sich manchmal in die finsterste Zeit der mittelalterlichen Glaubenskriege versetzt, als der schiitische Geheimbund der Assassinen die damals bekannte (christliche und moslemische) Welt terrorisierte. Sogar mitten in Bayern haben die Selbstmordattentäter zugeschlagen und König Ludwig, genannt den Kelheimer, vor den Augen seiner Leibwache erdolcht, um sich danach ohne Gegenwehr von dieser Leibwache niedermachen zu lassen. Sounds familiar? Das war um das Jahr 1100!! Ca. 200 Jahre später haben die Mongolen en passant deren Festung Alamut gestürmt und dem Spuk ein Ende bereitet.
* So, jetzt isses soweit: Hab meine erste Ampolla (Blase) gelaufen. Hab es ihr gestern gleich chirurgisch gegeben, mit meinem High-Profile chirurgischen Nadel-und-Faden-Set. Seitdem ich damals Dani's Blase versorgt hab und sie eine kernige Entzündung davongetragen hat, bin ich extrem vorsichtig mit meiner OP-Sterilität. Einmal unsauber gearbeitet, und der Camino ist vorbei!
* Ich bin heut um 8:00 losgezogen, ich fauler Pilger, damit ich das Kloster bei Tageslicht sehen kann. Schnapsidee, denn bis ich fort bin, wäre es in jedem Fall schon hell gewesen.
* Habe trotz Frühstückspause den lustigen Javier eingeholt, der sich wegen Schmerzen etwas langsamer durch die Gegend bewegt. Haben den Urschmäh. Haben beide die gleiche Beobachtung mit den Locals gestern gemacht: Alle extrem hilfreich, aber alle reden soviel, daß man echt nimmer aufpassen kann. Noch dazu wiederholen sie zB Wegbeschreibungen so oft, daß man am Ende glaubt, man würde sich auf eine Expedition zu den geheimen Quellen des Rio Esla begeben.
* Es ist nicht zu glauben, aber Javier ist auch technisch noch mehr State of the Art als ich: Er hat nicht nur einen Palm-PDA dabei, sondern hat auch GPS-Navigation am Start. Da muß ich passen.
* Jetzt reichts mir aber: Javier ist auch noch online und bringt seine Tagesberichte ebenfalls online auf einem Blog raus: www.javier-echeverria.es :-) Respekt!
* Bayrisches Expeditionskorps hat in Einzeltruppstärke den Rio Esla überschritten und beginnt, den nun westlich verlaufenden Camino Mozarabe zu sichern.
Bislang kein Widerstand seitens der Regierungstruppen des Emirs von Cordoba.
* Für die Beschreibung der Landschaft gehen mir die Worte aus. Ich glaube, "atemberaubend" hab ich bisher noch nicht verwendet.
* Muss mich erst daran gewöhnen, daß die Kompaßnadel nach Santiago nicht mehr wie bisher strikt nach Norden zeigt, sondern ab jetzt nach Westen bzw. Nordwesten. Ich befinde mich nun nur mehr auf einem Sekundär-Jakobsweg, der nach meinen Infos noch einsamer ist, noch wilder, noch schlechter markiert... Portugal ist schon bald südlich (!) Von mir. Dieses Teilstück wird auch als Camino Sanabrès bezeichnet, wohl weil es bei Puebla de Sanabria vorbeiführt. Die wichtigste Stadt bis Santiago ist aber Ourense. Freu mich schon! Am meisten freu ich mich auf das Weitermarschieren nach Finisterre!
Ab jetzt müssen auch die Wadln an der linken (!) Seite gut sonnencremegeölt werden, wie das der Pilger vom Camino Francès her kennt. Bin nun offiziell nicht mehr auf der Via de la Plata unterwegs (die würde gradaus nach Norden weitergehen und bei Astorga auf den Camino Francés münden, wo derzeit wohl Hochsaison ist und als Amtssprache Deutsch vorherrscht :-) Javier & ich haben ordentlich Witze gerissen über die umständlichen Wegbeschreibungen der Locals und deren wilde Markierungen mit gelben Pfeilen: "Wenn wir genau der Beschreibung der Eingeborenen folgen, dann sind wir in Kürze Richtung Astorga unterwegs - und du fragst dich, warum überall Souvenirläden sind, und warum auf einmal alle deutsch reden, warum auf einmal in den Bars ein 'Escalope de Peregrino' zum 'Menu Turistico' zum essen gibt..." ;-)
* Soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß ich mich heut morgen richtig fett aufgeregt habe, daß uns die vielgepriesene Wegbeschreibung der Locals direttissima am Kloster Moreruela VORBEI geführt hat!! All die Vorfreude umsonst. Wieder mal ein Fall, wo das Vertrauen auf die wortreichen Empfehlungen der Locals direkt ins Off geführt hat. Mir bleibt nur noch, den Wikipedia-Eintrag über Moreruela zu lesen, den mir Mission Control freundlicherweise gemailt hat. Denke mir dabei: "DAS wäre ihr Preis gewesen".... :-(
* Meine Blase macht keinerlei Zicken (bin stolz auf meine offenbar sterile OP!), sie schlummert unter ein paar Schichten Leucopor
* Gear-Report!! Leucopor - Dieses luftdurchlässige Klebeband wurde schon von vielen Pilgern als Wunderpflaster gepriesen, und das ist es auch. Es sollte "Peregrinopor" oder "Santiagopor" heißen. An dieser Stelle ein Dankeschön an die Firma Baiersdorf - "You rock, folks! Nach euch sollte eine Straße in Santiago benannt werden!"
* Gear-Report! Meine Empfehlung, falls jemand Kartenmaterial zur Via sucht: Kauf Dir für die Via de la Plata am besten eine topographische Karte von Portugal (!) (Da sollte alles drauf sein), mit guter Auflösung, oder such nach span. Militärkarten. Die haben die echten Freaks hier. Karten mitzuschleppen ist aber m. E. Nicht sinnvoll, ausschnittsweise Farbkopien reichen voll. Ich hab kopierte Wegeskizzen aus dem Sevillaner Pilgerführer dabei & bin sehr zufrieden.
* Morgen wird die Wahl schwer: entweder ich geh morgen und übermorgen jeweils weichflötenhaft kurze Etappen jeweils oder ich geb mir eine kombinierte Sado-Distanz an einem Tag. Como dice el Emperador (wie der 'Kaiser' Beckenbauer sagt): "Schau ma mal, dann wer ma scho segn!" :-)
* Gerade in Faramontana de Tàbara angkommen. Sitze wieder in einer Bar bei Bocadillo de Tortilla francèsa (wie kreativ!), Doritos-Chips (mal was anderes) und bei einer Cervezita (sowas gibt's hier auch?) ;-) Sind laut Führer noch 8 km zu gehen bis Tàbara, allerdings durch die grobe Nachmittagshitze. Schönen Schrank auch.
* Hier scheinen die Locals einen Pilger in ihrer örtlichen Bar nicht ganz so aggressiv zu ignorieren wie sonst üblich: Ein netter Opi spricht mit mir in Mitschreibegeschwindigkeit (das tut gut), scherzt mit mir und einem kleinen chico rum (der hat sogar ein Camino-T-Shirt an!), und ein paar andere nette Opis fragen mich soga, wo ich herkomme. Komisch: Normalerweise lege ich im Ausland größten Wert darauf, gerade NICHT als "Farang" aufzufallen. Hier allerdings, wenn man als weithin auffälliger "bunter Hund" eine Bar voll Locals betritt, befremdet es enorm, wenn alle durch einen hindurchschauen. Sehr merkwürdig. Das Sprachproblem mag seinen Teil zur Isolation beitragen, meine bewährten saalfüllenden Schmähs zünden möglicherweise auf Spanisch nicht zu 100%.
* Javier ist jetzt zu mir aufgeschlossen und stellt sich erstmal ein paar Radlerhalbe in die Figur. Haben wieder eine Gaudi. Ist ein prima Pilgerkumpel. Reißen wieder die bekannten Witze über die phantasiereichen Wegbeschreibungen der Einheimischen - zum Lachen hab ich noch Kraft, gottseidank.
* Hey, was geht denn jetzt ab (span.:"vaz daz den?")?! - Auf einmal gibts hier -horrible dictu- Wolken! Seit 10 Tagen Azurhimmel die ersten Wolken! Ein leichter Schleier liegt zwischen mir und dem Himmel.
* Bis zu meinem nächsten Eintrag sind die Wolken schon wieder weg - die Sonne scheint wieder in Strömen. Ächz! Es geht weiter durch herrliche Steineichenwälder durch die brütende Hitze.
* Bin soeben in Tàbara angekommen: schönes Städtchen, sogar ein Zirkus gastiert grad im Ort, die Leute ausgesucht freundlich. Bin mittlerweile etwas vorsichtig, wenn mir Locals ungefragt (!) Den Weg erklären wollen. Am faszinierendsten hier im Ort: Ein richtig altes Kloster mit Ursprüngen in der Wesgotenzeit!! Wird heut alles ausgecheckt. Siesta entfällt ersatzlos. (Das werd ich in Santiago beichten müssen) :-)
* Habe verzweifelt versucht, eine simple Portion Pasta aufzutreiben - in der 2. Bar gibts wenigstens einen grauenhaft-kalten Nudelsalat. Dafür mit Ketchup. Die spanische Küche ist für mich "way up there - together with the British one!" :-)))
* In der uralten Kirche des ehemaligen Klosters gibt es ein schönes Museum mit einer studierten Kunstwissenschaftlerin, die mir alles im Detail erklärt.: Die Phase der Westgoten in Spanien, aus der einige Monumente in der Kirche entdeckt wurden (7. Jhd.!!), die Phase der Mozaraber, also der Christen im arabisch besetzten Spanien (bis 1000), und dann die romanische Phase, die mit der Wiederbesiedlung des zurückeroberten Landes (Reconquista) begann, und die maßgeblich von den Zisterziensern geprägt war, ab dem Jahr 1000. Aus all diesen Phasen gibt es noch Spuren hier in Tàbara. Die arabische Besetzung dauerte ganze 800 Jahre. Im 10. Jahrhundert hat der Mönch Beatus von Tàbara hier einen Kommentar zur Apokalypse verfaßt, die farbenprächtigen Malereien sind in der Kirche zu sehen. Es gibt in einigen Städten sogar noch Kirchen, in denen die Messe nach dem mozarabischen Ritus gefeiert wird! Z.B. In Zamora oder Salamanca. Würde was dafür geben, das zu erleben. Dieser Ritus ist beeinflußt vom alten westgotischen Ritus (die Westgoten hatten den arianischen Glauben), der zum letzten mal um 1100 in Spanien zelebriert wurde, von moslemischen und von jüdischen Einflüssen. Da gibt es viele Prozessionen und auch so etwas wie eine Ikonostase. Spannend sowas. In den nicht arabisch besetzten Gebieten (dies hat sich eigentlich auf das bergige Königreich Asturien beschränkt) gab es eine eigene, vor-romanische Kultur. Habe nach der Geschichte der Templer in der Gegend gefragt, und - wie durch eine Fügung - heut abend ist ein Vortrag zu dem Thema im Ort. Offen für alle, and here I go!
* Habe mich gottseidank in der Bar des Zauberwortes erinnert und eine "Jarra" de cerveza bestellt, sonst kriegt man ja nur die bekannten ortsüblichen Pipettchen. :-)
* Obwohl Javier heute die meiste Zeit mit mir gepilgert ist, sind wir die letzte Etappe getrennt marschiert: Er wollte kurz ausruhen und ich wollte weiter. Ist nie ein Problem unter Pilgern. Mein geliebter Thoreau sagt dazu: "If a man does not keep pace with his companions, maybe he is listening to the beat of a different drummer. Let him step to the music which he hears, however measured or far away." - Großartige Einstellung, die man hier am Camino hautnah praktizieren lernt.
* Sitze gerade im Vortrag eines Professors zur örtlichen Geschichte der Templer. Kann nicht behaupten, daß ich mehr als 20% verstehen würde von der abgelesenen wissenschaftlichen Sprache.
* Merke immer stärker, daß der Jakobsweg seit über 1000 Jahren einen unwahrscheinlichen Einfluss auf diese Gegend und auf Spanien hat. Klöster wurden entlang des Weges gebaut, Pilgerherbergen, Ordensritterburgen, um die Pilger zu schützen, etc. Viele Orte tragen in ihrem Namen eine stolze Referenz an den Jakobsweg (Riegos del Camino, Calzada de Béjar etc). Über den Jakobsweg kam der gotische Baustil nach Spanien, die Via de la Plata wurde benützt von den Römern, von Hannibals Heeren, von den arabischen Eroberern, und von unzähligen namenlosen Pilgern, von denen jeder 2. bis jeder 3. die Strapazen nicht überlebt hat. War etwas verwundert, als ich vor dem Pico de la Dueña Erinnerungskreuze an kürzlich verstorbene Pilger sah. Wenn man für jeden seit dem Jahr 900 am Weg gestorbenen Pilger ein Kreuz aufstellen würde, wäre der Camino wohl voll davon.
* Habe jetzt genug vom Wissenschaftsspanisch und verkrümel mich Richtung Herberge. Dort bissi lesen, die Füße in eine herrliche große open-air-Wäschewaschanlage halten und den Tag ausklingen lassen. Morgen wieder über 30 km. Ultreia.
* Klassischer Fehler, den man nur einmal macht: Begeistert habe ich mich zum Wäschewaschen zu dem großen Frischwasser-Wasch-Trog begeben, der an seinen Seiten herrliche Beton-Waschrumpeln hat. Das Wasser ist sogar trinkbar.
Was ich nicht wußte: die Seitenränder dieser mittelalterlichartigen Waschanlage sind voller Algen. Mein weißes T-Shirt schaut jetzt aus wie nach einer intensiven Fangopackung. :-( Hab den Müll auch nicht mehr rausgekriegt. Werde das Hemd wohl auf den einsamsten Etappen tragen müssen.
Chris
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