Camino-Tagebuch: Neunundzwanzigster Tag - 28.8.2006



Rückfahrt Muxia - Santiago
* Sitze schon im Bus und laß die Gedanken zurückschweifen auf das letzte Monat Pilgerei. War wirklich ein echtes Privileg, ganze 4 Wochen hatschen zu dürfen, ohne Hektik, durch die schönsten Landschaften Spaniens. Bin etwas sentimental. Gleichzeitig freu ich mich, daß mir einige typisch spanische Aufreger künftig wieder erspart bleiben werden, wie zB die für mich immer noch ungewohnten Essens- und Öffnungszeiten, das dauerunfreundliche, desinteressierte Personal, das ewig gleiche triefend fette Essen, der Verfall ganzer Ortschaften und bisweilen sogar recht neuer Wohnhäuser, die Dörfer ohne ein einziges junges Gesicht, die rücksichtslose Raucherei, vor allem in den Restaurants, die Unfähigkeit und Unwilligkeit, eine einzige andere Sprache als die eigene zu sprechen etc. Vor allem auch das Fehlen jeglichen marktwirtschaftlichen Servicegedankens: Wie gerne würde ich eines der schönen Jakobsweg-Poster kaufen, die in den heiligen Jahren herauskommen und die man gelegentlich in den Bars und Herbergen auf dem Camino sieht. Sowas gibt's in keinem einzigen der Millionen Souvenirshops. Oder nichtspanische Zeitungen oder irgendetwas nichtspanisches zu essen - außer in Santiago aussichtslos. Auch Münzwaschmaschinen würden das Pilgerleben in den Städten und Herbergen so viel leichter machen. Hab ich in einer einzigen Herberge auf der Via gesehen.
* Jetzt, bereits in Santiago angekommen, sitze ich grade auf den Stufen des Museums auf der Praza do Obradoiro und genieße die Abendsonne. Hab mir verschiedene internationale Zeitungen ergattert, die die letzten 3 Tage abdecken. Zeitunglesen ist neben dem Pilgern meine 2. Sucht, und ich hab zu lange ohne meine Dosis auskommen müssen. Ist ein eigenartiges Flair: Über den Platz klingt galicisch-keltische Dudelsackmusik, es flanieren Millionen von "ehrlichen" Touristen, ausgerüstet mit Sonnenhüten und riesigen Kameras vor den respektablen Bäuchen. Und ebensoviele - deutlich erkennbare - Pseudopilger, die sich nicht nur ein Mikro-Daypack auf den Buckel geschnallt haben, sondern auch noch in den weißesten Turnschuhen und den frischesten Baumwollklamotten herumlaufen, einheitlich ausgerüstet mit dem hier an jeder Ecke verkauften "Pilgerstab mit Kalebasse". Ich kann mir nicht einmal im Traum vorstellen, meine Wasserflasche an meinem Wanderstock festzumachen und damit ganze Tagesmärsche zu hatschen. Das Zeug muß ja hin- und herschlagen wie verrückt. Immerhin - sogar auf mittelalterlichen Statuen sind Pilger mit dieser merkwürdigen Kombination dargestellt. Echte Pilger erkennt man an abgelatschten Wanderstiefeln oder Flipflops bzw. Sandalen (die jeder zum Wechseln dabeihat) und an Funktionsfaserkonfektion. Und an der fulminanten Bräune an den Wadeln, die kurz über der Stiefelhöhe abrupt endet. Einige humpeln sogar, die armen.
* Habe mich nochmal in die Krypta zum hl. Apostel begeben, um ihm für seinen Beistand auf meinen Wegen zu danken und ihm alle nochmal alle ans Herz zu legen, denen ich es versprochen hatte. Ich bin immer noch von einer sehr großen Dankbarkeit erfüllt, daß es mir vergönnt war, heil hier anzukommen und sogar bis zum Ende der Welt weiterzugehen.
* Unglaublich - ich hab mitten in Santiago Oma & Opa, meine beiden lieben norddeutschen Pilger von der Via wieder getroffen, und noch ein paar andere bekannte Gesichter vom Weg nach Finisterre. Sind dann mit letzteren bis Mitternacht um die Häuser gezogen. Schöner Abschluß meines letzten Tages in Santiago!
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