Camino-Tagebuch: Zweiundzwanzigster Tag - 21.8.2006


Etappe Laxe/Lalín - Santiaguiño (35,3 km)
* Heute aufgebrochen um 07:45. Herrlich sonniger Tag. Je näher man an Santiago herankommt, desto feuchter und nebliger wird es. Das hätte ich wissen müssen: Die Wäsche, die ich gestern zum "trocknen" rausgehängt hab, ist jetzt tropfnaß. Wieder ein bissl schlauer geworden :-( Jetzt schlepp ich ein paar Pfund Wasser extra vollkommen sinnlos durch die Gegend. Na supi. Muss jetzt so schnell hatschen, daß ich zum Trocknen "Fahrtwind" erzeuge :-)
* Hab mir aus lauter Vorfreude darauf, in Santiago endlich allein in 1 Zimmer zu schlafen, gleich ein Zimmer in einer Pension reserviert, die mir ein Freund empfohlen hat. Brauche nix so sehr wie meine Ruhe vor den anderen "Pilgern". War gestern eine 8-köpfige Gruppe aus Sevilla bei mir im Schlafsaal. Was die eigentlich sehr netten und lustigen Andalusier (ich lach mich jedesmal schlapp bei dem Akzent) an Schnarcherei und Lärm veranstaltet haben, war grauenhaft. Auch mein Konzept mit den 2 verschiedenen Schlafsäcken (dazu Gear-Report weiter unten) hat sich nicht bewährt: Hab gefroren wie ein Schneider. Jetzt nur noch einmal Pilgerherberge, dann endlich wieder Einzelzimmer!!! - Hätte mich ohrfeigen können - im Erdgeschoß der Herberge gibt es ein schönes, abgelegenes Matratzenlager. Da hätte niemand geschnarcht und gelärmt. Lektion daraus: Wenn Dich eine Hospitalera irgend einem Bett zuweist, dann nimm es auch so an - vorläufig. Dann mach dich auf die Socken, ob Du was abgelegeneres findest. Und wenn alle anderen im Saal versichern, daß sie nicht schnarchen - das sind meistens die lautesten Schnarcher!
* Ich hab zunächst gedacht, die Sevillaner wären - naheliegenderweise - von Sevilla aus auf die Via aufgebrochen. Von wegen, die gehen genau die letzten 5 Tage nach Santiago, bei 10-20 km am Tag keine guinessbuchverdächtige Leistung. Dafür haben mich einige Sprüche des Sevilla-Papas ziemlich amused. Ich sagte ihm auf Nachfrage, daß ich in Plasencia angefangen habe zu pilgern. Er überlegte ein bissl, dann meinte er skeptisch: "Plasencia liegt gar nicht auf dem Camino!" - was fällt dir dazu ein?!? Jetzt hatsche ich schon 450 km quer durch Spanien, per Bus angelandet in Plasencia, dann zu Fuß losmarschiert im nahegelegenen Galisteo, und jetzt muß ich mir sowas von einem Möchtegernpilger sagen lassen, der nur mit der Minimaldistanz die Pilgerurkunde abzocken möchte :-))))
* Andere "Helden des Camino" in der Herberge: Ein paar belgische "Buspilger", die noch niemand richtig hatschen gesehen hat, die aber immer grad in Richtung Bushaltestelle gehen, dafür aber die dramatischen Rucksäcke aufhaben und jeden Abend theaterreif abgearbeitet in den Herbergen aufschlagen (die eigentlich strctissime für reine Fußpilger vorbehalten sind). Lassen sogar ihre Bustickets in den Herbergen rumliegen...
* Weitere "Helden": Die sehr nette Familie aus Katalonien, die laut eigener Ansage gestern 40 km gehatscht ist (und trotzdem vor mir in der Herberge war - ohne mich zu überholen! Ein Jakobswunder?), und die deshalb so "fertig" sind, daß sie kaum was essen können. Auch die sind, habe ich grade gehört, "mit dem Bus gepilgert". Haben mit ihren Stories die Hospitalera belogen, ihre Mitpilger in der Herberge und - in erster Linie - sich selbst.
* Je näher man an Santiago herankommt, desto mehr schräge Vögel trifft man. Deren Gschichtln sollte man nicht allzuviel glauben schenken. Pseudo-Pilger aller Länder vereinigt Euch in Lalín!
* Wieder erweist sich eine Hoffnung als trügerisch: die einzige Bar in Lalïn, die angeblich sogar Frühstück macht, hat am Montagmorgen zu. Also mit knurrendem Magen aufgebrochen. Dafür sitz ich jetzt im Städtchen Silleda beim 2. Café con leche mit Croissant und hole alles nach. Trotz der vielen "Pilger", die alle fast gleichzeitig aufgebrochen sind, hab ich es geschafft, niemandem über den Weg zu laufen. So nah an Santiago ist es fast unmöglich, die bisher so liebgewonnene Einsamkeit beim Gehen zu bewahren.
* Im Vergleich zu den Buspilgern sehr lieb und ehrlich sind die beiden älteren Preußen, die ich gerade eingeholt habe. Haben mir von Finisterre vorgeschwärmt, auf das ich mich mittlerweile mehr freu als auf Santiago. :-) Die wollen auch nochmal hinmarschieren.
* Morgen nur eine 17,5-km-Etappe, und ich steh pünktlich zur 12-Uhr-Pilgermesse vor dem Apostel! Freu mich schon. Ist so, wie einen alten Freund wiederzusehen. So ähnlich läuft ja auch das Begrüßungsritual mit der Statue des hl. Apostels auch ab: Man umarmt die Statue herzlich, einmal verneigt man sich links dabei, einmal rechts. Letztesmal war ich beim Einmarsch in die Kathedrale, zwischen Heerscharen von Pilgern, so ergriffen, daß mir altem Haudegen die Tränen gekommen sind, fast die ganze Messe lang.
* Sitze mittags grade in einer Bar in Bandeiras (17 km schon hinter mir) und hab mir -zur Abwechslung- ein Bocadillo de Jamon bestellt. :-) Zum Mitnehmen, das mampf ich unterwegs. Dazu gibts ein Cervezita aus dem einzigen Halbliterkrug des Hauses, der extra aus der Küche geholt werden mußte. Hoffe, daß es ein sonniger, windiger Tag wird heute, damit der ganze nasse Klammotten-Kaufladen, der außen am Rucksack hängt, trocknen kann.
* Gear-Report! Habe für die kälteren Nächte einen Daunen-Ultralightschlafsack dabei, den wirklich extrem leichten Beeline 900 von North Face. Und weil ich durch sehr heiße Zonen komme, hab ich zusätzlich als Alternative einen reinen Schlaf-Überzug aus Seide dabei (Cocoon), wiegt nur ein paar Gramm mehr. Leider hat diese Kombi ihre Nachteile: Der Beeline ist so ultralight, daß er nicht mal einen Reißverschluß hat. (Sogar das Logo ist nur aufgedruckt.) :-) Aber das verhindert, daß man öffnen und lüften kann. Also schwitzt man sofort, wenn's wärmer als 15 grad ist. Und in dem Seiden-Cocoon frierst wie ein Blöder. Also statt superoptimal ist beides Mist.
* Jetzt sind 3 Pilger ins Restaurant nachgekommen. Wird Zeit daß ich aubreche, um meine Einsamkeit wiederzuhaben. Hab keine Zeit für Socializing grad.
* Hier ist man wieder durch Weinland unterwegs, und ich werd den Gedanken, nicht los, daß hier Wein immer mit Wohlstand (schöne, gepflegte neue Häuser, gepflegte, kultivierte Menschen) assoziiert werden kann. Ob es aber der Weinbau ist, der die Locals kultiviert macht, oder ob sich hier einfach kultiviertere Locals niederlassen und zum Zeitvertreib ein bißchen Wein anbauen (wie in Santa Croya), das weiß ich auch nicht.
* Eine Kritik der bayrischen Pilgerschwester über die Via de la Plata ist 100% berechtigt: Die schönen Kirchen und Einsiedeleien (ermitajes) sind fast alle ständig abgeschlossen. Das nervt nicht nur den Touristen im Pilger, sondern auch den, der sich gelegentlich mal auf ein Kirchenbankerl auf ein Gebet zurückziehen möchte. Hoffentlich wird sich das mal ändern.
* Laut Meilenstein nur noch 30 km bis Santiago!!!
* Das in der letzten Bar muß die echte Power-Cervezita des Apostels höchstpersönlich gewesen sein: seitdem gehe ich schnell und wie auf Schienen, wie gedopt. Bin echt "in the zone", Steine im Schuh stören nicht, Fotos werden nur die allerschönsten gemacht. So geht es durch kilometerlange duftende, sonnendurchflutete Kiefern- und Eukalyptuswälder, ein Traum! Obwohl es ordentlich heiß geworden ist, trocknet meine Wäsche am Rucksack noch immer nicht. :-(
* Hatte schon ganz vergessen, wie tief verwurzelt die hiesige Tradition ist, einen Gast in der Gastronomie mit dem A**** anzuschauen, bis ich zum Restaurant Rios nach Ponte Ulla kam. Hier ist der Chef noch reizender als im übrigen Spanien: Er verweigert sogar das Zurückgrüßen. DAS ist konsequent! Hut ab! Hoffe, daß die es hier gebacken kriegen, mir nur einen Teller Pasta mit Soße zu machen, ohne die üblichen Fleisch-Verbrechen (harte Steaks, flachsige Schnitzel, alles in Fett schwimmend, begleitet von fiesen, schlammigen, glitschigen Pommes). Wer mich kennt, weiß, daß ich kein Gourmet bin, aber was hier zum Teil aufgetisch wird, das gehört zur Beweissicherung nach Den Haag!
* Bin echt von den Socken: Nudeln waren ok, sogar geriebenen Käse gab's auf Nachfrage! Und Brot. Und Salz extra. Daß mir derartige Extratouren hier straflos durchgehen, hätte ich nicht erwartet. :-). Wieder ein glücklicher Pilger mehr, der morgen nach Santiago einchargieren wird. In dem Dorf Santiaguiño gibt's nämlich rein gar nix zu essen. Also lieber jetzt, 5 km davor, ordentlich carboloaden.
* Bin jetzt angekommen in dem kleinen Dörflein Santiaguiño, 17 km vorm Apostel. Herrlich hier. Eine der aller-allerschönsten Herbergen ever. Komplett neu, Granitbau mit viel Glas, viel Frischluft, alles extrem großzügig, davor ein nettes Eßbankerl, ein Fußbecken zur Abkühlung, ein Colaautomat - was will man mehr? (Kleingeld z.B!!?!) Die Schlafsäle sind schön groß, kühl und sauber. Hoffe, die 2 Valencianer nebenan gehören zu den wenigen Nichtschnarchern.
* Gehe ins Bett, habe eines gefunden außer Hörweite des Schnarch- äh Schlafsaales. Morgen großer Tag. Apostel erwartet mich um 12 zur Pilgermesse, volles Programm.
Chris
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